Warum diese Komödie, jeden Tag?
Ein bißchen Spaß muß sein: Rolf Henrich baut die Mauer wieder auf

© Frank Pergande,Frankfurter Allgemeine Zeitung; vom 05.11.2001 / 257 SEI S. 46

 

Die innerdeutsche Grenze steht wieder: ein Stück von achthundert Metern Länge im ostbrandenburgischen Pieskow am Scharmützelsee. Alles sieht aus wie beim Original. Signalzaun, Grenzzaun mit den Selbstschußanlagen dran, ein Wachturm, sogar eine Hundelaufbahn ist da. Nachts werden hier mitten im Wald Grenzdurchbrüche ausprobiert, mit Festnahmen, Verhören und wilder Ballerei. Die Grenze gehört zu einem Freizeitzentrum. Der Besitzer hat sie in eine Schneise gestellt, die er zuvor ohne Genehmigung in den Wald hatte schlagen lassen. Lukas Wolfskehl, Rechtsanwalt in Frankfurt (Oder), soll dem Besitzer den juristischen Ärger vom Hals schaffen. Aber Wolfskehl sagt: "Grenze und Abenteuerspielplatz. Das geht mir zu weit." Gerade hat er einen ehemaligen General der Nationalen Volksarmee vor Gericht verteidigen müssen. Der General war ein schwieriger Mandant gewesen, der sich an die Spielregeln vor Gericht nicht halten wollte. Er hatte es abgelehnt, sich von einem Arzt Verhandlungsunfähigkeit assistieren zu lassen, obwohl er schwer krank war. Er habe immer nur seine Pflicht getan, hatte er vor Gericht gesagt, er sei mit sich im reinen und verlange Gerechtigkeit. Ein Überbleibsel aus der DDR-Zeit war dieser Mann in den Augen Wolfskehls gewesen: Arbeitersohn, Kommunist, Spanienkämpfer, Armeeangehöriger, schließlich sogar ein General, dem Staat und Armee untergegangen waren, ein Fremdkörper im neuen System. Am Ende war es für Wolfskehl ein Erfolg gewesen, daß sein Mandant nur zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt worden war. Der General selbst jedoch war fassungslos gewesen. Für ihn war das Urteil ein Todesurteil, er starb ein paar Tage später. Während Wolfskehl mit seinem Auto im Stau steht, breitet sich in ihm eine Frage "von zersetzender Kraft" aus: "Warum diese Komödie, jeden Tag?"

Warum diese Arbeit als Rechtsanwalt, da. ihm doch das Gericht längst ein "Tanz um den papiernen Götzen des Protokolls" geworden ist? Da er die Bemerkung eines seiner Kollegen, man solle das alles abschaffen und einfach jeden dritten Straftäter erschießen, nur mit einem knappen Nicken kommentiert? Da er sich immer wieder bei dem Gedanken ertappt, "daß die Rache der Gesellschaft ruhig ihren Lauf nehmen soll"? Wolfskehl verläßt daraufhin die gutgehende Anwaltskanzlei, vielleicht für ein paar Wochen, vielleicht für immer. Seine Kollegen sagen, das sei das Burn-out. Juristen bekämen es wie Bergleute die Staublunge.

Autor Rolf Henrich ist selbst Rechtsanwalt in Fürstenberg bei Eisenhüttenstadt, kennt also das, was er beschreibt. 1988 veröffentlichte er sein Buch "Der vormundschaftliche Staat", eine für jene Zeit erstaunliche Analyse der DDR, geschrieben von einem skeptischen Bürger. Das Buch wurde zu einer geistigen Vorbereitung des Zusammenbruchs. Henrichs Buch konnte 1988 nur im Westen erscheinen. Im Frühjahr 1990 erlebte der Autor die Genugtuung, daß ein DDR-Verlag das Buch in hoher Auflage unter die Leute brachte. Erstaunlich war, daß Henrich damals nicht in die Politik ging, obwohl viele ihn baten, sondern kritischer Beobachter blieb.

Abermals erstaunt es, daß er nun zwölf Jahre später zum Romanautor wird. Vielleicht war es ihm zu trivial, seine Ansicht unvermittelt auszusprechen, daß der bundesdeutsche Rechtsstaat nicht in der Lage ist, mit dem untergegangenen Unrechtsstaat fertig zu werden, ja vielleicht nicht einmal die Berechtigung gehabt hätte, es überhaupt zu probieren.

Henrich macht aus dieser These aber eine lesenswerte Geschichte, in vielen Passagen fesselnd geschrieben, dabei geradlinig und sparsam gebaut. Nur in den Dialogen schimmert manchmal etwas aufdringlich Essayistisches durch. Auch die Romanfiguren sind nicht alle überzeugend, etwa Maria Cortia, eine Spanierin, die beobachten will, wie mit der DDRVergangenheit juristisch umgegangen wird, und die auch noch, ohne es selbst zu wissen, die Enkelin des alten Spanienkämpfers sein soll. Als Spanierin ist sie natürlich schön, hat einen "vollkommenen Körper und locker gefederte Hüften". Da weiß man schon auf Seite 69, was auf Seite 158 passiert, und ist verstimmt. Auch bemüht Henrich zu sehr das Lokalkolorit. Seine Figuren bewegen sich zwischen Oder-Turm, Oderauen und Oder- Zeitung. Wie kommt es nur, daß so etwas für Frankfurt an der Oder komisch wirkt, während es in Frankfurt am Main vermutlich irgendwann einen literarischen Spaziergang wert wäre?