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Die Sendedaten zur Ursendung:
Pressetext des © NDR: Ein großes Stück Funkdramatik!Ohne Reduktion kann Literatur kaum verfilmt oder für Bühne und Funk dramatisiert werden. 398 Buchseiten müssen schlüssig in 90 Radiominuten umgesetzt sein. Eigentlich wurde im Falle Saramago das Ensemble der Romanfiguren nur geringfügig reduziert. Ein Kind gehörte im Roman zum Figurenkern und ein Alter, den es im Hörspiel zwar auch gibt, aber nicht so geheimnisvoll philosophisch. Die Funkdramatik hat sich nicht von einem ihr scheinbar entgegenkommenden Vehikel im Roman verführen lassen, es sich allzu leicht zu machen. Im Roman hat der alte Mann ein Radio dabei. Bis zum Ende der Batterien und der gerade noch miterlebbaren Erblindung der letzten Radiomacher da draußen liefert es Nachrichten von der Außenwelt. Das Hörspiel gestaltet sehr einnehmend das Verschwinden der Zivilisation aus den Zwischenmenschlichen Beziehungen in dem Mikrokosmos Anstalt, in welchem die ersten Blinden der Stadt interniert wurden. Das Erleben der letztlich befreienden Brandkatastrophe und der apokalyptischen Stadt liegen nicht im Kern der Handlung und kommen sehr verknappt ins Hörspiel, obwohl es hier im Roman Details gibt, die sich dem Leser sehr tief einprägen. Das stark wachsende Hörangebot, die Zunahme der Audioadaptionen belletristischer Werke ist gewiss nicht die Ursache der Krise, in die das Lesen offenbar eingetreten ist. Hörspiel und Roman "Die Stadt der Blinden" kann man beide mit Gewinn zu sich nehmen. Das eine wird so wenig enttäuschen wie das andere. Das Hörspiel wird der Vorlage gerecht, macht sie aber nicht übergehbar. Noch ein Wort zum HörbuchSaramagos Sätze sind mitunter Großbaustellen, brauchen zur Ergründung einen weiten Blick und zur sprecherischen Bewältigung einen langen Atem. Um so bewundernswerter ist es, dass gerade Reiner Unglaub diese Herausforderung angenommen hat. Er liest mit den Fingern. Der Tastsinn aber gehört zu den Nahsinnen, und diese erschließen sinnliche Totalitäten vom Detail her, wohingegen das Auge als ausschweifender Fernsinn vom Großen Ganzen her kommt. Im Klartext: Der Text des portugiesischen Nobelpreisträgers verlangt vom Fingerleser mehr Vorbereitung als vom Augenleser. Letztgenannter kann den ganzen Gedankenbogen in einen Blick bannen, was der Erstgenannte erst einmal synthetisieren muss. Reiner Unglaub ist dem Text gerecht geworden. Man hört seiner Sprache die zweifellos investierte Mühe nicht an. Aber man hört der Produktion an, dass der Lesefluss doch oft unterbrochen werden musste. Man hört es nur, wenn man von Schneidearbeiten für das Regime der Pausen sensiblisiert ist. Der von solcher Erfahrung unbelastete Hörer, wird hier kein Problem artikulieren. Dennoch werden gewisse Momente der Hektik seinen Hörgenuss ein wenig beeinträchtigen. Das sind keine künstlerisch gewollten Momente, sondern einfach im Schnitt zu rasch aneinander gefügte Satzgebilde. Das Hörbuch ist ein Audiobook, also ein kommerzielles Hörbuch. Um so lobenswerter ist die Tatsache hervorzuheben, dass am Text keine Veränderungen, Kürzungen vorgenommen wurden. Hier hat ein Audiobuchverlag im eigenen Studio ein großes, gutes Stück Arbeit geliefert. Ein großer Teil von Audiobooks verdankt seine Existenz den kompetenten Studios und Archiven der oft gescholtenen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. | ||||||||||||||||||||
Zum Boltenhagener Bücherfrühling | Saramago in Boltenhagen | © Jürgen Trinkus | Mail an Jürgen Trinkus, den Autor dieser Seite! |
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Erstellt am 20.04.2002 | Zuletzt geändert am 21.04.2002 22:53 |