Denn alles ist gleich - Friedrich Wolff erinnert sich

© Berliner Zeitung; vom 08.05.1999 / S. M6

Irgendwann muß Friedrich wolff beschlossen haben, sich nicht mehr zu wundern. Seit diesem Tag betrachtete er die Welten, in denen er lebte, mit geschlossenen Augen, und was er hörte, erklang ihm nur als Wiederholung dessen, was er schon immer gehört zu haben glaubte. Die Summe seiner Eindrücke hätte der Strafverteidiger Friedrich Wolff folgerichtig unter dem Titel "Alles ist gleich" veröffentlichen können, aber er hat sich entschieden, sie als "Verlorene Prozesse 1953 -1998. Meine Verteidigungen in politischen Verfahren" bekanntzumachen.

Es hätte ein interessantes Buch werden können - kein anderer Rechtsanwalt kann vermutlich auf so viele Verteidigungen In politischen Prozessen in der DDR und der Bundesrepublik verweisen. Die eigentümliche Weltsicht des Autors aber entzieht dem Werk jegliche Substanz, auf 452 Seiten berichtet er von den verschiedensten Verfahren in Ost und West, die sich für ihn ganz offensichtlich nur in Raum und Zeit unterscheiden lassen.

Recht eigentlich hat Wolff keinen Erfahrungsbericht vorgelegt, sondern nur eine Botschaft verkündet: Politische Justiz ist nicht gut oder schlecht, sondern bestenfalls erfolgreich. Bedauerlicherweise sei der Erfolgsfall in der DDR nicht eingetreten. Wir waren alle Genossen

Wolff hat alle verteidigt - die Demonstranten des 17, Juni 1953. Kriegsverbrecher und West-Spione, gescheiterte Republikflüchtige und Dissidenten. Diese Prozesse haben Wolff in der DDR bekannt gemacht, denn stets spielte er eine wichtige Rolle. Der Leser wüßte nur gern, welche. Doch vom anwaltlichen Selbstverständnis des überzeugten SED-Mitglieds Wolffund der ihm in den politischen Verfahren zugewiesenen Funktion erfährt er nur wenig mehr als nichts. Das ist erstaunlich, denn das Problem hat Wolff sehr wohl erkannt.

Im Kassationsverfahren zugunsten eines 1957 verurteilten Dissidenten sagte Wolff in seinem Plädoyer vor dem Obersten Gericht der DDR am 4.Januar 1990: "Wie im Janka-Prozeß darf auch hier nicht aus den Augen verloren werden: Wir waren alle Mitglieder einer Partei, alle Genossen: Die Ankläger, die Richter, die Verteidiger, die Angeklagten und die Zuhörer wohl auch. Der Konflikt zwischen Anklägern und Richtern einerseits und den Angeklagten andererseits war ein politischer und ideolgischer Konflikt innerhalb einer Partei, zwischen Personen, die dasselbe Ziel, aber mit anderen Mitteln und Methoden verfolgen wollten. Ein Konflikt, der zu Gunsten der Machthaber mit den Mitteln der Justiz entschieden wurde.

Nichts Neues in der Geschichte, denkt man an die Inquisition, die französische Revolution oder eben an Stalin." Das alles ist richtig und beschreibt zutreffend die dienende Funktion der Justiz in einem totalitären Staat. Doch die Frage, ob sich in solchen Prozessen der Anwalt als Verteidiger des Angeklagten oder als Genosse der Partei, als Organ der Rechtspflege oder als Komparse versteht, ist damit nur gestellt, nicht aber beantwortet.

Seine Erinnerung an 35 Jahre DDR-Strafjustiz verarbeitet Wolff auf 205 Seiten, seine zehnjährigen Erfahrungen mit der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit breitet er auf 236 Seiten aus. Gegen den Schwerpunkt ist nichts einzuwenden, immerhin arbeitet Wolff im zweiten Teil einen der interessantesten Prozesse der vergangenen Jahre aufdie Anklage gegen Erich Honecker. Im Grunde aber hat sich für Wolff auch nach der Wende nichts verändert: Verfolgte vorher eine Staatsmacht (die DDR) ihre Gegner mit den Mitteln der Justiz, sehen sich nun die Repräsentanten dieser abgelösten Staatsmacht mit den Mitteln der Justiz von einer anderen Staatsmacht (der Bundesrepublik) verfolgt.

Es ist erstaunlich, wie wenig sich der Rechtsanwalt für verfahrensrechtliche Unterschiede interessiert, konkret: die fast vollständige Rechtlosigkeit der (politischen) Angeklagten vor DDR-Strafgerichten, der umfassende Schutz der Angeklagten vor bundesdeutschen Gerichten.

Und es ist erstaunlich, wie wenig sich der Verteidiger auch für die Unterschiede in der Strafzumessung interessiert: Auf den Plakat-Spruch "Kauft Puppen statt Panzer" standen in der DDR zehn Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegen Rowdytums, die gleiche Strafe, allerdings auf Bewährung, erhielt Hans Modrow wegen Wahlfälschung und fahrlässigen Fälschens. Wolff vergleicht nicht, er stellt gleich. Ob das Gesetz sich selbst befiehlt, nur Wille der Partei zu sein, oder der Staat sich selbst seinen Gesetzen unterwirft, ist ihm Hekuba, denn alles ist, wie es ist, und alles ist gleich: "Fest steht, so lange es Politik gibt, wird es politische Justiz geben und so lange werden ihre Angeklagten und deren Verteidiger Grund haben, zu räsonieren über verlorene Prozesse". So ist es. Aber ein wenig gehaltvoller dürfte das Räsonnement schon sein.

 

Erstellt am 10.10.2001Zuletzt geändert am 30.07.2002 18:46