Honecker verteidigen: Der Anwalt Friedrich Wolff und seine Prozesse

© Horst Köpke, Frankfurter Rundschau; vom 28.05.1999 / 121 / S. 5

"Praktisch war jeder, der in der DDR Jura studiert, potentieller Täter. Glück hatten diejenigen, die von der Berufslenkung zu Justitiaren, Notaren oder Rechtsanwälten gekürt wurden. Sie blieben sauber. Bei dem Rest kam es darauf an: Zivilrichter (einschließlich Familienrichter), die ihr ganzes Berufsleben keine Strafakte anfassen, keinen Haftbefehl erlassen mußten, hatten gleichfalls Glück." Friedrich Wolff, der dies in seinen Erinnerungen schrieb, hatte noch in der sowjetischen Besatzungszone studiert, das erste und zweite Staatsexamen nach altem Ritus abgelegt, war Hilfsrichter und in der Justizverwaltung tätig, bis er 1953 in den Anwaltsberuf abgedrängt wurde. Er war dann später einer der prominentesten Juristen in der DDR, nicht zuletzt wegen einer von ihm moderierten populären Fernsehsendung.

In den Anfängen plagten ihn Existenz- ängste, wie auch andernorts saß er zunächst in einem leeren Büro und wartete auf Klienten. Die kamen nach dem Volksaufstand vom 17. Juni, als die Justizmaschinerie sogar sonntags auf Hochtouren lief.

Vor allem Honorare für Pflichtverteidigungen trugen zum Lebensunterhalt bei. Dabei waren die Arbeitsbedingungen in jener Zeit bescheiden; Verteidiger mußten sich aus Anklageschriften, in die sie erst im allerletzten Augenblick Einblick erhielten, handschriftliche Auszüge fertigen. Die Vorbereitungsfristen waren minimal.

"Konzentration und Beschleunigung der Verfahren war immer die beherrschende Maxime des Strafverfahrens der DDR." Über den Alltag der DDR-Justiz erfährt der Leser eine Menge, auch über die Widersprüche der marxistischen Rechtstheorie, wonach der Mensch weitgehend das Produkt seiner gesellschaftlichen Verhältnisse ist, und über die rigorose Gerichtspraxis. Daß die Staatspartei sehr oft Vorgaben für die auszusprechenden Urteile machte, leugnet der Autor nicht. "Wir waren . . . weder willenlose Werkzeuge der Partei oder des Staates noch völlig autonome Repräsentanten der Anwaltschaft."

Unter den vielfach prominenten Fällen, mit denen Wolff befaßt war, tauchen Namen auf wie die des "Aufbau"-Verlagsleiters Walter Janka, des in den Osten entführten IG-Metall-Funktionärs Heinz Brandt, und auch den Kanzleramtsspion Günter Guillaume betreute er. Gelegentlich führte ihn sein Weg nach Paris, nach London und in die Türkei. Nach der "Wende" vertrat er manchen einst führenden Genossen mit Erich Honecker an der Spitze. Dessen Prozeß schildert er ausführlich in all seinen Windungen, dabei verwendet er ausführliche Zitate aus Anklage- ,und Verteidigungsschriften sowie Plädoyers. Dies verschafft seinem Buch einen hohen dokumentarischen Wert, macht es allerdings für Nichtjuristen nicht gerade leicht lesbar.

Daß er seinen Klienten von der sympathischsten Seite schildert, kann nicht überraschen. Wolff bekennt sich dazu, Sozialist zu sein, und die Trauer, daß das favorisierte System nicht bessere Ergebnisse zeigte, durchzieht seine Rückschau; ebenso aber auch die Enttäuschung über das westliche Justizwesen, dessen Vorzüge gerade auch für den Anwaltsstand er keineswegs leugnet. Mit Wehmut erinnert er an die Worte Harald Franzkis, ehemaliger Präsident des (West-)Deutschen Juristentages. Der sprach im April 1990 als Gast auf dem Juristentag der DDR in seinem Grußwort: "Es sollte auch die Gunst der Stunde nicht vertan werden, das eigene Recht darauf zu untersuchen, ob es noch zeitgemäß ist, nicht von Verwerfungen und Verkrustungen insgesamt einfacher gestaltet werden kann, schon um der anderen Seite seine Übernahme und Anwendung zu erleichtern." Am Ende müsse eine Rechtsordnung stehen, die keiner Seite ihre Identität und ihr Selbstbewußtsein nehme.

Nicht immer läßt sich allerdings bei der Lektüre dieser Erinnerungen der Gedanke verdrängen, was wohl gerade auch mit an der parlamentarischen Demokratie orientierten Juristen geschehen wäre, wenn umgekehrt der Sozialismus über das westliche System triumphiert hätte.

Wolff argumentiert, solange es Politik gebe, werde es politische Justiz geben und so lange würden ihre Angeklagten und deren Verteidiger Grund haben, zu räsonieren über verlorene Prozesse. Dies ist wohl etwas zu einfach. Doch daß die justizpolitische Bewältigung der Wiedervereinigung von zwei Staatsteilen mit höchst unterschiedlichen Systemen gut vonstatten gegangen ist, läßt sich ebenfalls nicht behaupten.

 

Erstellt am 10.10.2001Zuletzt geändert am 30.07.2002 18:50