Das klingende Zitat bei Aufruf dieser Seite - Jörg Jannings über sich: "Ich bin'n sozialer Anarchist, wenn's so was gibt."

Wissenswertes über Jörg Jannings

Jörg Jannings wurde am 14. November 1930 in Berlin-Charlottenburg geboren. In diesem Jahr war sein Onkel Emil schon einer der wichtigsten deutschen Schauspieler, Oscar-Preisträger des ersten Jahrgangs und spielte an der Seite von Marlene Dietrich in seinem ersten Tonfilm, "Der blaue Engel" den Prof. Unrat.

Neffe Jörg absolvierte seine Schulzeit in Innsbruck und Salzburg. Dann sah es nach einer Theater- und Filmlaufbahn aus: Schauspielunterricht in Innsbruck und Wien; erstes Engagement am Tiroler Landestheater; ab 1950 bei der Bavaria in München (Kurzfilme); seit 1953 in Berlin: Schnitt-Assistent und Mitarbeit an DEFA-Dokumentarfilmen.

Die vom Ruhm des Emil Jannings überstrahlte Kindheit, in der Jörg Jannings etlichen Kollegen des Onkels begegnete, blieb prägend. Jörg Jannings dazu in einem Interview 1993: "Ich habe immer die Luft des Theaters und des Films geatmet und konnte mir gar nichts anderes vorstellen." Mit dem berühmten Verwandten, der in der Zeit des Nationalsozialismus nicht in die Emigration gegangen ist, setzt sich der Neffe in seiner neuesten und persönlichsten Regiearbeit unter dem Titel "Jannings" auseinander: Ursendung: Deutschlandradio Berlin, 6.8.2004 19:05! Geschrieben hat das Hörspiel Christoph Hein. Dass Jörg Jannings Regisseur und Mitwirkender in Personalunion ist, das kam bei ihm auch schon früher vor (s. unsere kleine Zusammenstellung!).. Im Stück "Jannings" wird der junge Jörg Jannings von einem Schauspieler dargestellt, und zwar von dem Nachwuchsstar Robert Gwisdek.

Beim RIAS war Jörg Jannings seit 1957 tätig, zunächst als Assistent von Hans Korngiebel, der damals als Leiter der RIAS-Hörspielproduktion wirkte. Auch hier arbeitet er zunächst als Mann des Theaters weiter. "Wir gehn ins Theater" hieß eine Reihe, in der Jörg Jannings seit Mai 1960 regelmäßig bis 1968 Tonregie führte. In unserer Zusammenstellung sind 70 Produktionen verzeichnet.

Regie hat Jörg Jannings bei RIAS Berlin auch in zahlreichen Literatursendungen/Lesungen geführt. Unsere Übersicht verzeichnet zwischen 1968 und 1994 51 Lesungen von Autoren, deren Spannbreite von Heinrich Heine über Marie Luise Kaschnitz und Adolf Muschg bis Siegfried Lenz, Michail Bulgakow und Philip Roth reicht, und Irmtraud Morgner nicht zu vergessen. Unter den Sprechern dieser Produktionen sind so bekannte Namen wie Brigitte Horney, Otto Sander, Christian Brückner, Friedhelm Ptok, Friedrich W. Bauschulte, Steffan Wigger, Günter Pfitzmann, und Bernhard Minetti.

Die Hauptsache aber war die Hörspielregie. 1962 gab Jörg Jannings sein Regiedebüt mit dem Stück "Stern über der Grenze", worin übrigens als 10-Jähriger auch der seit 1971 prominente Fernsehmoderator Ilja Richter debütierte. Auch der junge Ben Becker hat sich bei Jannings und Tabori erprobt ("Die 25. Stunde", RIAS 1978). Übrigens begegnet uns in Jörg-Jannings-Produktionen immer wieder auch der herrliche Max Raabe.

In unserer Übersicht sind zwischen 1962 und 2003 zur Zeit 134 Produktionen dokumentiert, zunächst für RIAS Berlin, wo er 1981 zum Oberspielleiter avancierte; später aber auch für den NDR und bald bundesweit.

Als Abteilungsleiter war Jannings Teil der Hierarchie seiner Rundfunkanstalt. Ebenso wie der von mir hoch geschätzte Michael Naura, der von 1971-1999 beim NDR für den Jazz zuständig war. Jannings sieht sich so:

"... ich fühlte mich auch im RIAS, als Angestellter, als Teil des Senders, immer wie ein Fremder, wie ein Außenseiter. Und ich hab auch sehr bewusst diese Position, die Position des Fremden, angenommen. Weil ... aus Selbsterhaltungstrieb. Wenn man da aufhört, Stachel im Fleisch zu sein, dann ist es aus. Und auch das Hörspiel..."
zit. aus: Thomas Fritz: "Ein Wort, das kann tausend Bilder hervorbringen: Dem Hörspielressigeur zum siebzigsten Geburtstag", in: "Triangel: Ein Radio zum Lesen - ein Journal mit Programm", MDR, 11/2000, S.30

Für unsere Thematik der VI. Boltenhagener Tage für akustische Medien mag ein guter Anknüpfungspunkt sein, was Jörg Jannings in einem Interview sagte:

"Das mit den Einschaltquoten habe ich nie so ganz verstanden - es handelt sich um ein Maß für eingeschaltete Geräte, nichts anderes. Und darin einen künstlerischen Maßstab zu sehen, das verstehe ich nicht. Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich zu sehr angepasst."
("Reminiszenzen: Erinnerungen an RIAS Berlin", hrsg. von Manfred Rexin. VISTAS, Berlin 2002, S. 304)

Ins Jahr 1978 zurück reicht die künstlerische Partnerschaft und persönliche Freundschaft mit George Tabori (geb. am 24.5.1914 in Budapest). Beginnend am 30. Januar 1978 (genau 45 Jahre nach Hitlers Machtübernahme) mit der Produktion des Hörspiels "Weissmann und Rotgesicht" entstanden dann ca. 15 gemeinsame Hörspiele. Besonders herausgehoben sei Taboris erste Radioinszenierung. In seinem Hörspiel "Die 25. Stunde" tritt Jörg Jannings als Ko-Regisseur und Erzähler in Erscheinung.

In der deutschen Hörspiellandschaft steht Jörg Jannings zunächst für die handwerkliche Tradition des Theaters. Von den Schauspielern fordert er körperlichen Einsatz auch vor den (blinden) Mikrofonen. Jannings' jüngerer Kollege Thomas Fritz fasste diese Methodik einmal so zusammen:

"Um die Schauspieler von der dekorativen Anwendung ihrer schönen Stimmen abzuhalten und statt virtuoser Artikulationen lieber den gewöhnlichen Hexenkessel der Seele hörbar zu machen, hatte er das "körperliche Sprechen" erfunden: das Sprechen in der Bewegung, im Liegen, im Hantieren mit Requisiten, aber auch in extremer Nähe zum Mikrofon, so dass nicht bloß die Rampe verschwand, über die hinweg man hätte deklamieren können, sondern man fast schon in das "innere Sprechen" der Gedanken hineinzulauschen meinte. Im Verein mit den Technikern hatte er die dafür notwendigen unkonventionellen Aufnahmemethoden gefunden; hatte nicht die Stimmen zum Mikrofon, vor dem sich der Schauspieler, sein Textblatt auf dem Pult, normalerweise in genau kalkuliertem Abstand zu postieren hatte, sondern das Mikrofon zu den Stimmen gebracht. Ja, er war einer von denen gewesen, (...) die das Mikrofon wie eine Kamera zu handhaben begannen, die sich dem Geschehen nähert oder entfernt, und so im genau bedachten Wechsel von Vordergrund und Hintergrund, von Nahaufnahmen, Halbtotalen oder Totalen Geist und Fluss der Erzählung erzeugt, was den Raum, den Gegenpart der Stimme, aus seinen situativen Vorgaben entließ und zu einem so untergründigen wie prägenden Medium künstlerischer Gestaltung machte. Er hatte mit Schnitt-Techniken experimentiert und gegen den Einsatz der Musik als Fugenfüller und emotionalen Weichspüler gekämpft, für ein assoziatives Material, das überraschende Beleuchtungen schafft und Bilder im Kopf eher provoziert als sie zu suggerieren."
zit. aus "Triangel", a.a.O. S.26-27

Er, der auf diese Weise zur Avantgarde der Radiokunst zu zählen ist, bewahrt sich zugleich kritische Distanz zur technologischen Trendanbetung.

"Man kann nicht aus dem Nirwana oder was weiß ich etwas herstellen. Das geht nicht. Ich hab zum Beispiel viele Hörspiele auch draußen gemacht... jetzt sind ja die Rundfunkstudios dermaßen steril, die haben ja keinen natürlichen Raum mehr. Jetzt kann man natürlich wunderbare elektrische Räume herstellen, mit Computern, herrlich, aber das ist dasselbe wie CDs, diese perfektionierten Aufnahmen... aber wenn man ins Konzert geht, klingt das eben noch anders. Ja, und so war das auch draußen. Die Schauspieler haben ganz anders gespielt. Und ich denke, darauf kommt es eben an, den Schauspieler aus dem Versteck zu holen und ihn dann aber frei zu lassen. Ich denke, dass Regie da aufhören muss, wo die Natur funktioniert."
zit. ebenda S.29.

Und dann steht Jörg Jannings für funkdramatische Umsetzung großer deutscher Gegenwartsliteratur. Hier sind besonders zu nennen

Interessant ist, was Jörg Jannings in dem Sammelband ""Reminiszenzen: Erinnerungen an RIAS Berlin"" S. 305 äußert:

"Ich vermisse den RIAS nicht, aber ich vermisse Menschen, die ich im RIAS kennen gelernt habe, die jungen Leute in meiner Abteilung: Das war ein sehr buntes Leben.
Ich ging ja, als die Kollegen von DS Kultur in den RIAS kommen sollten, die ich alle kannte, soweit sie mit Hörspiel zu tun gehabt hatten. Ich hatte das Gefühl - vielleicht irrte ich mich -, dass sich eine Art Schlangengrube auftat: Die Leute von DS Kultur wurden nicht angenommen. Es gab Anfeindungen. Man denunzierte. Es war nicht schön. Das konnte ich nicht aushalten, weil ich der Meinung war: Was nach der Wende geschah in der Zeit der runden Tische, war für mich etwas radikal Demokratisches. Man spürte eine solche Ernsthaftigkeit und Lust an der Arbeit - auch, was die Zeit davor, diesen Staat DDR, betraf: Man rechnete mit ihm ab, aber es war keine Sache der Ideologie, es war das Bemühen, zu wissen, was geschehen war, und das Empfinden: "Jetzt kann ich wirklich arbeiten, jetzt habe ich eine Perspektive!" Für mich war das eine ganz tolle Zeit - sie dauerte nicht sehr lange. Eine andere Zeit begann: Der Elan, der Motor, lief aus. Das war einer der Gründe, warum ich 1993 ging."

Mit dem Wechsel in den Vorruhestand erreichte der damals 63-Jährige vor allem einen höheren Grad an Mobilität. Er arbeitete in den Umbruchjahren besonders gern für Deutschlandsender Kultur und den MDR.

Um das Bild halbwegs abzurunden, soll wenigstens erwähnt sein, dass sich Jörg Jannings stets auch um den künstlerischen Nachwuchs gekümmert hat, so in Projekten für den "Berliner Stückemarkt" innerhalb des Berliner Theatertreffens, wobei er mit Studenten der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" gearbeitet hat.


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Erstellt am 15.06.2004Zuletzt geändert am 20.02.2005 Mail an den Seitenautor: Jürgen Trinkus

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