2. 3. Subsumierung der Tierproduktion unter das genossenschaftliche Eigentumsverhältnis

2.3.1. Die genossenschaftliche Viehhaltung und ihre Voraussetzungen

Typisch für die privatbäuerliche Wirtschaft, von der bei der Entwicklung der LPG auszugehen war, ist die Verbindung der Stallungen mit den Wohngebäuden. Die Ställe entsprachen den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Bauern und konnten daher meist den modernen Ansprüchen an Mechanisierung und gesunde Tierhaltung nicht genügen. Aber innerhalb eines Dorfes stark differenziert waren nicht nur Gesundheits- und Ernährungszustand der Tierbestände, sondern auch die gehaltenen Rassen und die züchterische Qualität des Viehs wiesen innerhalb einer Gemeinde häufig eine große Variationsbreite auf. Entsprechend der sozialökonomischen Differenziertheit und der ökonomischen Isoliertheit der bäuerlichen Betriebe waren die Tierbestände zudem höchst ungleichmäßig über das Dorf verteilt.

Dort, wo unter der Voraussetzung privatbäuerlicher Stallungen eine genossenschaftliche Viehhaltung aufgebaut wurde, waren die zu lösenden Probleme besonders groß. Das gilt in erster Linie für die Organisation der genossenschaftlichen Arbeit im Bereich der Viehwirtschaft. 10 bis 15 Rinder, betreut durch eine Arbeitskraft, waren im Rahmen der gegebenen Umstände das Optimale. Aber die meisten Ställe waren kleiner, manche auch größer. Für die LPG Typ III der Fünfziger Jahre galt in hohem Maße, daß ein Genossenschaftsbauer mit seiner Familie einen bestimmten Stall (meist den seines eigenen Gehöfts) zu bewirtschaften hatte. Die ungleichmäßige Auslastung der Arbeitskräfte wurde damit - entsprechend der übernommenen differenzierten Größe der Ställe - in die LPG übernommen. Auf der III. LPG-Konferenz im Dezember 1954 mußte Walter Ulbricht konstatieren, daß die Brigadearbeit in der Tierproduktion noch wenig durchgesetzt war. Quelle!

Eine grundsätzliche Überwindung dieses Zustandes setzte ein umfangreiches Bauprogramm voraus. In der Tat wurden große Anstrengungen unternommen. In den LPG Typ III wurden zwischen 1956 und 1960 insgesamt 968 762 Rinderstallplätze neu geschaffen. Quelle!
Die genossenschaftliche Rinderhaltung überstieg jedoch im Jahre 1960 mit insgesamt 2190 400 die genossenschaftlich geschaffene Kapazität um mehr als das Doppelte. Quelle!
Dem gesellschaftlichen Bedarf entsprechend hatte sich die genossenschaftliche Rinderhaltung schneller entwickelt als die baulichen Möglichkeiten. Die Zahl der Stallplätze, die bis 1960 geschaffen wurden, entsprach in etwa der genossenschaftlichen Rinderhaltung des Jahres 1958. Die analoge Entwicklung in der Schweineproduktion führte dazu, daß die genossenschaftliche Schweinehaltung in den LPG Typ III des Jahre 1960 mit 3 443 000 Schweinen die neu geschaffene Kapazität um mehr als das 2,6fache übertraf. Quelle!

Noch weniger als der Stallneubau an sich konnte die Innenmechanisierung mit den Erfordernissen Schritt halten. Der Anteil der mechanisch gemolkenen Kühe an den Kühen insgesamt betrug 1961 35,4 %. Noch weit geringer war die mechanische Entmistung mit Stalltraktoren verbreitet. Bezogen auf die Rinderplätze insgesamt machte sie 3,9 % aus. Die analoge Angabe für die Schweinehaltung lautet 1,9 %. Quelle!

Solange die Arbeit selbst - bedingt durch die Produktionsmittel - den Charakter von Familienarbeit trug, waren die Voraussetzungen für ihre genossenschaftliche Aneignung nur höchst unzureichend gegeben. Deshalb kommt den LPG Typ I beim Übergang der Masse der Altbauern und desjenigen Teils der Neubauern, der viehzüchterisch erfolgreich arbeitete, zur genossenschaftlichen Produktion eine so große Bedeutung zu. Es liegt in der Natur der Sache, daß der Übergang zur Großproduktion in der Feldwirtschaft schneller und leichter vollzogen werden konnte, als in der Tierproduktion.

2.3.2. Die individuelle Großviehhaltung im Typ I

Um die wesentlichste Besonderheit der LPG der Typen I und II zu erfassen, müssen wir davon ausgehen, daß ein großer Teil der landwirtschaftlichen Bruttoproduktion im Bereich der Feld- bzw. der Grünlandwirtschaft in der Tierproduktion konsumiert und daher in dieser in Marktproduktion umgesetzt wird. Während nun in den LPG Typ I und II die Feldwirtschaft unmittelbar dem genossenschaftlichen Eigentumsverhältnis unterworfen wurde, blieb die Viehwirtschaft im wesentlichen privatbäuerlich. Über das Ausmaß der Tierproduktion der LPG Typ I und II im Verhältnis zu der des Typ III gibt folgende Übersicht Auskunft.

 

Einige Relationen zwischen den verschiedenen LPG-Typen im Jahre 1960 Quelle!

Anteil an der von LPG Typ ITyp II Typ IIIdavon individuell gehalten
bewirtschafteten LN 39,20,959,9 
an der Mitgliederzahl 36,50,862,7 
An den Kühen insgesamt 40,4 59,613,8
davon Kühe 46,0 59,620,9
Schweine 36,2 63,821,7
Schafe 35,4 64,618,0
Pferde 59,5 40,58,4
Ziegen 26,9 73,198,8
Geflügel 33,566,546,9
GV-Besatz je 100 ha LN 96,2 75,6 
 

Würden die Produktionsverhältnisse in der Pflanzen- und in der Tierproduktion nun in der Weise auseinanderfallen, daß eine futterproduzierende Genossenschaft und viehzüchtende private Warenproduzenten als selbständige Kontrahenten ihre Beziehungen über den Markt eingingen, wären das ganz klar Beziehungen der privaten Warenproduktion. Pflanzenproduktionsgenossenschaft und Viehzüchter würden sich als kollektive und individuelle Privateigentümer aufeinander beziehen.

Gänzlich anders verhält es sich in der Geschichte unserer LPG Typ I und II. Die genossenschaftliche Feldwirtschaft, eingebettet in die Produktionsverhältnisse des Sozialismus, konnte nur existieren als gemeinsamer Betrieb derselben Bauern, die aus ihr das Futter bezogen. Die gleichen Bauern, die in der Tierproduktion gesellschaftliche Arbeit privat verausgaben und privat aneignen, müssen als Miteigentümer der genossenschaftlichen Produktionsmittel einen Teil ihrer Arbeit unmittelbar gesellschaftlich verausgaben, um die Futterbasis ihrer Viehwirtschaft zu reproduzieren. Zwischen genossenschaftlicher Arbeit und Aneignung einerseits und privater Arbeit und Aneignung andererseits entstanden damit widersprüchliche und vielgestaltige Wechselbeziehungen, die sich in der ökonomischen Realität des Jahres 1962 wie folgt äußerten:

"Ein erheblicher Teil der Feldproduktion wird in der Viehwirtschaft veredelt, und die in der Feldwirtschaft geschaffenen Werte werden mit im Preis für tierische Erzeugnisse realisiert. Diese Preise werden sogar von diesem Gesichtspunkt aus subventioniert, um die Reproduktion zu sichern. Das bedeutet, daß die erweiterte Reproduktion sowohl für die Viehwirtschaft wie auch für die Feldwirtschaft in erster Linie aus den Einkünften aus der tierischen Produktion gesichert werden muß. Die Lage in den LPG Typ I und II, wo das Vieh noch individuell gehalten wird, ist aber so, daß der unteilbare Fonds nur aus den Einkünften der Marktproduktion der Feldwirtschaft gebildet wird, während der größte Teil der Einnahmen den Bauern über die Realisierung der tierischen Produktion auf das persönliche Konto zufließt, den er früher zu einem erheblichen Teil für die einfache und erweiterte Reproduktion genutzt hat." Quelle!

In welchem Maße hierbei nicht nur genossenschaftlich, sondern auch gesamtgesellschaftlich verausgabte Arbeit privat angeeignet wurde, mögen die folgenden auf dem VII. Deutschen Bauernkongreß angeführten Zahlen illustrieren. Im gleichen Zeitraum, da die LPG des Bezirkes Rostock Überbrückungskredite zur Stützung der Arbeitseinheiten in einem Umfang von 40 Mio. DM in Anspruch nahmen, verfügten die Genossenschaftsbauern des gleichen Bezirkes über 340 Mio. DM private Spareinlagen, für die sie jährlich 12 Mio. DM Zinsen erhielten. Quelle!

Die Überwindung dieses Zustandes lag sowohl im Interesse einer dynamischen Entwicklung der genossenschaftlichen Produktion als auch im Interesse der weiteren Steigerung der bäuerlichen Tierproduktion, denn Stagnation der Feldwirtschaft muß Stagnation der Viehwirtschaft nach sich ziehen. Überwunden werden mußte der Zustand, daß die Mittel der genossenschaftlichen Akkumulation und teilweise sogar der einfachen Reproduktion der Feldwirtschaft in hohem Maße durch die Tierproduzenten privat angeeignet wurden. In diesem Sinne gab W. Ulbricht den Genossenschaftsbauern zu bedenken: "In der Einzelwirtschaft fühlte sich der Bauer selbst verantwortlich für die Investitionen. In der Genossenschaft ist die Gemeinschaft der Genossenschaftsbauern für die ständige Erhöhung der Investitionen verantwortlich und muß deshalb auch dafür sorgen, daß ein großer Teil der Einnahmen in die genossenschaftlichen Fonds überführt wird." Quelle!

Wie die Genossenschaftsbauern durch eigene Erfahrung zur Lösung dieser Widersprüche gedrängt wurden, zeigt das Beispiel der am 1.8.1958 gegründeten LPG Planetal in Lütte, Kreis Beltzig. Bei der ersten Jahresendabrechnung dieser LPG zeigte sich ein Verlust von 5300 DM. Daraufhin beschloß die Mitgliederversammlung, daß jede Hauswirtschaft ein Schwein aufzubringen habe, dessen Verkaufserlös in die Fonds der Genossenschaft gehen sollte. Damit waren die Lasten keineswegs gerecht verteilt, denn zum einen traf diese Abgabe die kleinen Wirtschaften verhältnismäßig schwerer als die größeren, und zum anderen hatten die einzelnen Wirtschaften nicht in gleichem Maße genossenschaftliches Futter verbraucht. Wer wieviel Futter aus den genossenschaftlichen Fonds entnommen hatte, war auf Grund unzureichender Buchführung und Kontrolle kaum noch auszumachen. Um solche Konflikte für die Zukunft auszuschließen, wurde daher beschlossen, eine genossenschaftliche Bullenaufzucht einzurichten. Quelle!

Die Arbeitszeit der Genossenschaftsbauern im Typ I zerfällt sinnfällig in zwei Teile, in die genossenschaftlich und in die privat verausgabte Arbeit. Die private Arbeit sichert dem Bauern im Typ I unmittelbar ein höheres Einkommen als die genossenschaftliche Arbeit. Seine private Arbeit erscheint ihm produktiver, obwohl sie das eben gerade nicht ist. In ihr meint er, unentbehrlicher zu sein, muß er nicht die Probleme der Einordnung in ein größeres Kollektiv auf sich nehmen usw.

Ein wichtiger Vergesellschaftungsprozeß, der das Verhältnis von privater und genossenschaftlicher Arbeit verändert, war der Übergang zur genossenschaftlichen Bewirtschaftung des dafür geeigneten Dauergrünlandes. Die Probleme des Übergangs zur Großproduktion auf diesem Gebiet waren vielfach noch größer als bei der Vergesellschaftung der Feldwirtschaft, weil die materiell-technische Basis für die Grünlandbearbeitung in noch geringerem Maße der Großproduktion entsprach, die Zersplitterung der Flächen und der differenzierte Kulturzustand noch ausgeprägter waren und Melioration und Grundkalkung einen hohen Aufwand erforderlich machten. Präzise und knapp ist die Darlegung der Vorzüge der genossenschaftlichen Grünlandnutzung gegeben worden durch den Vorsitzenden einer LPG, die diesen Übergang vollzogen hat. Diese Darlegungen bedürfen keines weiteren Kommentars und sollen hier vollständig wiedergegeben werden.

"1. Die Arbeitsorganisation wurde erleichtert, weil während der Arbeitsspitze der Heuernte und Hackfruchtpflege die Genossenschaftsmitglieder und die Technik konzentriert zum Einsatz kamen. Es blieb uns erspart, daß die Mitglieder unserer Genossenschaft erst individuell ihr Heu warben und dann zur Hackfruchtpflege erschienen, wie das noch in vielen LPG Typ I geschieht.
2. Die Bewirtschaftung des Dauergrünlandes konnte auf großen Flächen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen...
3. Für individuelles Grünland brauchten wir keinen mineralischen Dünger mehr zu verteilen und zu verrechnen. Damit konnte auch kein genossenschaftlicher Dünger individuell verwendet werden.
4. Weiter war es uns möglich, die Futterverteilung und -verrechnung vereinfacht vorzunehmen.
5. Das in der Genossenschaft heranwachsende TBC-freie Jungvieh zwang uns zur Einrichtung von Jungviehweiden. Auch hier erwies sich die Einbringung des Grünlandes als vorteilhaft, denn die einzelnen Eigentumsverhältnisse brauchten nicht mehr berücksichtigt zu werden." Quelle!

Doch nicht die Vergenossenschaftlichung des Grünlandes allein war hinreichend, um die Spitzen der privaten Arbeit zu berechnen und somit die allgemeine Teilnahme an der genossenschaftlichen Arbeit zu sichern. Auch die Arbeitsspitzen auf den genossenschaftlichen Ländereien und auf den Feldern der individuellen Hauswirtschaften, die immerhin mit 0,5 ha bei unproduktiver, kaum mechanisierbarer Arbeit recht spürbar waren, lagen zeitgleich und brachten Probleme. "Einige Mitglieder sind dann bestrebt, zuerst die Arbeiten auf ihrem eigenen Land zu erledigen, so daß regelmäßig eine Anzahl von Mitgliedern für die genossenschaftliche Arbeit in der LPG ausfallen." Quelle!

Ein Teil der LPG hat dieses Problem dadurch gelöst, daß die individuellen Flächen, soweit dies möglich war, zu Komplexen zusammengelegt wurden, die in die genossenschaftliche Großproduktion einbezogen werden konnten. Die private Aneignung wurde dadurch gewährleistet, daß die Erträge nach Abzug der Selbstkosten vollständig an die Mitglieder, deren Flächen es waren, ausgegeben wurden.

Zu Beginn der Entwicklung unserer LPG war eine obligatorische Arbeitspflicht zur Sicherstellung einer ausreichenden Teilnahme aller Mitglieder an der genossenschaftlichen Arbeit unvermeidlich. Im Verlaufe der Ausgestaltung der genossenschaftlichen Produktionsverhältnisse traten an ihre Stelle mehr und mehr ökonomisch normale Beziehungen. Insbesondere mußten die Genossenschaften lernen, die Futterverteilung, jenes Bindeglied zwischen genossenschaftlicher Pflanzen- und individueller Tierproduktion im Sinne einer dynamischen Entwicklung der Genossenschaften zu handhaben. Weder eine Verteilung nach der Arbeitsleistung, noch eine Verteilung nach dem individuellen Futterbedarf, weder eine Verteilung nach tierischem Marktaufkommen, noch nach Bodenanteilen konnten für sich genommen eine befriedigende Lösung bringen.

Die komplizierten konkreten Verhältnisse erforderten vielfältige Kombinationen der genannten Verteilungskriterien. Was in jedem Falle zu gewährleisten war, ist

  1. die Sicherstellung der genossenschaftlichen Arbeit,
  2. Verhinderung der Aussaugung der genossenschaftlichen Arbeit durch das bäuerliche Privateigentum und
  3. ein gesundes Wachstum der Tierproduktion, der genossenschaftlichen ebenso wie der individuellen.
 


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