2. 4. Subjektive Produktivkräfte und genossenschaftliches Eigentumsverhältnis

"Während in der Wirtschaft des werktätigen Einzelbauern, bedingt durch die geringe Größe des Betriebes, eine Arbeitsteilung bestenfalls auf der Grundlage der Familie möglich ist, in der Regel aber alle vorkommenden Arbeiten gemeinsam ausgeführt werden, der werktätige Bauer als ein Gesamtarbeiter in Erscheinung tritt, verändert sich durch den Eintritt, speziell in die LPG Typ III, sein Verhältnis zur landwirtschaftlichen Arbeit... . Der werktätige Einzelbauer, der in der Einzelwirtschaft ein Gesamtarbeiter war und alle vorkommenden Arbeiten verrichten mußte, wird als Genossenschaftsbauer zu einem Teilarbeiter mit neuer Qualifikation, er übernimmt in der landwirtschaftlichen Produktion der LPG eine spezielle Arbeit. Er arbeitet entweder im Feldbau oder in der Viehwirtschaft, sofern er nicht eine Funktion in der Gesamtleitung oder Verwaltung ausübt." Quelle!

Die Konstituierung des genossenschaftlichen Eigentumsverhältnisses ist in ihrer ganzen revolutionären Größe erst zu ermessen, wenn wir sie in Zusammenhang der Produzenten betrachten. Die Revolution im Eigentum veränderte grundlegend die Anforderungen an die subjektiven Produktivkräfte, also die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Erfahrung und die Bildung und Kultur der produzierenden Menschen. Gleichzeitig konnte bei der Konstituierung des neuen Eigentumsverhältnisses von nichts anderem ausgegangen werden als von den vorgefundenen subjektiven Produktivkräften. Die folgenden drei, eng zusammenhängenden Momente machten die Größe der Veränderung der Anforderungen, Entwicklungsmöglichkeiten und Widersprüche, die durch die Revolution der Aneignungsweise determiniert sind, erkennbar.

  1. Teilung zwischen Pflanzen- und Tierproduktion sowie zwischen der Ausführung der Teiloperationen des Arbeitsprozesses und seiner ökonomischen und agronomischen Leitung brachten einerseits eine Entwertung der alle Gebiete der Landwirtschaft umfassenden Produktionserfahrungen der Einzelbauern und damit verbunden für einen Teil der Bauern zumindest vorübergehend eine mit bisherigen Wertvorstellungen nicht vereinbare Vereinseitigung der Tätigkeiten; andererseits bot die neue Stellung im Arbeitsprozeß neuartige Möglichkeiten einer mit den persönlichen Interessen übereinstimmenden Spezialqualifizierung. Bauern, deren Stolz eine makellose Herdbuchzucht war, konnten sich erst in der Genossenschaft ganz auf dieselbe spezialisieren. Jüngere Bauern, die größeres Interesse am Umgang mit moderner Technik verspürten, konnten sich auf die Qualifikation für den Umgang mit Anlagen und Geräten konzentrieren.
  2. Soweit aber die materiell-technische Basis des genossenschaftlichen Arbeitsprozesses noch der privatbäuerlichen Produktionsweise entsprach, mußte sich eine zeitweise Diskrepanz auftun zwischen den auszuführenden Arbeiten, die dem Inhalt nach kaum unterschieden waren von denen des privatbäuerlichen Gesamtarbeiters, und der Einsicht in die Notwendigkeit einer zentralisierten Leitung, die oft selbst noch mangelhaft ausgebildet war. Aus einem zeitlichen Abstand von 20 Jahren antwortete z. B. ein ehemaliger Großbauer auf die Frage, "Wie reagierten Sie auf das 'Ansagen der Arbeit' durch einen übergeordneten Leiter?": "Das war wohl das schwerste. Ich stand als Einzelbauer sehr gut in allen Belangen da. Jetzt sollte ich mir gerade von solchen was sagen lassen, die mir vorher nicht das Wasser reichen konnten? Meist machte ich die Arbeit so, wie ich es für richtig hielt. Auf meiner Wirtschaft hatte ich ja die Arbeit angesagt. Der Umschwung fiel mir sehr schwer." Je nach sozialer Stellung der Befragten vor und nach dem Eintritt in die LPG, fielen die Antworten verschieden aus. Der Sohn des oben zitierten Bauern erklärte auf die gleiche Frage: "Mir machte es kaum Schwierigkeiten. Früher sagte mein Vater die Arbeit an und jetzt ein anderer. Es war also nur eine andere Person. - Aber über diese Sache haben die Leute viel geschimpft, aber meiner Meinung nach war die Arbeitseinstellung trotzdem gut." Quelle!
    Ein anderer Bauer aus der gleichen LPG, der einen guten Bestand an Zuchtsauen und reiche züchterische Erfahrungen einzubringen hatte, urteilt in diesem Punkt anders: "Zuerst war es ungewohnt und es gab oft Diskrepanzen in der Brigade bei der Arbeitseinteilung. Daraus resultiert der häufige Wechsel der Brigadiere." Quelle!
  3. Die Arbeitsteilung erfordert und ermöglicht wissenschaftlich fundierte Führung und Leitung des Betriebes. Ohne Agronomie waren weder einheitliche Fruchtfolgen noch eine angemessene Organisation des Arbeitsablaufes und auch keine standort- und produktivkraftgerechte Arbeitsnormierung möglich. Ohne Agrarökonomik, Betriebswirtschaft und Buchhaltung ist eine effektive Gesamtleitung des Produktionsprozesses undenkbar.

Trotz des Vorhandenseins eines landwirtschaftlichen Schulungswesens in Deutschland war der agronomische, zootechnische und betriebswirtschaftliche Bildungsstand der Bauernschaft recht niedrig. Trotz einer breiten Entfaltung eines reichen Angebots an Lehrgängen, Fachvorträgen, Konsultationen und Erfahrungsaustauschen konnte die sozialistische Hilfe der Agrarwissenschaftler nicht Schritt halten mit dem enormen Tempo des genossenschaftlichen Zusammenschlusses der werktätigen Bauern. In der nebenstehenden Tabelle (s. S.76) sind alle vorhandenen Qualifikationen zusammengefaßt, unabhängig davon, ob sie den Bedürfnissen des Arbeitsprozesses entsprachen.

Ein zeitweiliger Widerspruch zwischen der vorhandenen ökonomischen, politischen und fachlichen Qualifikation der zur Genossenschaft vereinten Bauern und den neuen Anforderungen war unvermeidlich. Er mußte auch im Hinblick auf die Entfaltung der genossenschaftlichen Demokratie zum tragen kommen. Sachkundige und vorausschauende Mitwirkung in zahlreichen Kommissionen und an folgenreichen Entscheidungen der Mitgliederversammlung, setzt ein Mindestmaß an Bildung und Qualifikation voraus. Zu den objektiv schwierigen Bedingungen für die Entfaltung des genossenschaftlich-sozialistischen Eigentumsverhältnisses traten eine Reihe subjektiver hinzu, die auch im Zusammenhang mit dem Klassenkampf im nationalen und internationalen Rahmen zu betrachten wären.

Zur Tabelle: Ausbildungsstand der Mitglieder in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften 1957 bis 1960

Solange Boden, Produktionsinstrumente und Qualifikation als grundlegende Momente der Produktivkräfte noch geprägt sind vom Privateigentum, kann nicht davon gesprochen werden, daß sich die Genossenschaft auf ihrer adäquaten Basis entwickelt. Wenn in solcher Situation die Diktatur des Proletariats ins Wanken gerät, wenn die marxistisch-leninistische Partei die Initiative verliert, wie in Polen 1956 geschehen, ist ein Zerfall der Genossenschaften in ihre Ausgangselemente sehr akut.

 

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