3. 2. Die Entfaltung der äußeren ökonomischen Beziehungen der LPG

Erst in der konsolidierten Genossenschaft, d.h. derjenigen Genossenschaft, die "fest auf eigenen Füßen" steht, die rentabel wirtschaftet, nicht mehr massiver staatlicher Stützung bedarf und mindestens die einfache Reproduktion aus eigener Kraft sichert, aber auch klug an ihre erweiterte Reproduktion herangeht, entfalten die Eigentumsverhältnisse voll ihre Eigendynamik. Die untrennbar andere Seite der inneren Entfaltung des genossenschaftlichen Eigentumsverhältnisses ist die Ausprägung der äußeren Beziehungen der LPG, ihrer Beziehungen zur übrigen Volkswirtschaft, wie sie sich in den Beziehungen zum sozialistischen Staat darstellt.

Durch die Hilfe des Arbeiter-und-Bauern-Staates in der ersten Phase der Entwicklung unserer LPG wurde eine Reproduktion des genossenschaftlichen Eigentums vielfach überhaupt erst möglich. Die Aufgaben des Staates lassen sich für diese Zeit etwa so zusammenfassen: Sicherung eines erfolgreichen Überganges der werktätigen Bauern zur genossenschaftlichen Produktion bei gleichzeitiger Gewährleistung einer steigenden Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und der Industrie mit Rohstoffen. Ziel der staatlichen Hilfe war die Konsolidierung einer der einzelbäuerlichen Wirtschaft überlegenen Produktionsweise, die Hebung der LPG auf ein Niveau, auf dem sie eigenverantwortlich ökonomisch normale Beziehungen innerhalb einheitlicher sozialistischer Produktionsverhältnisse einzugehen vermögen, weil sie stabil und rentabel wirtschaften, weil in ihnen die sozialistische Betriebswirtschaft durchgesetzt ist. Eine zunächst notwendigerweise sehr großzügige Unterstützung der neu entstehenden LPG half über vielfältige Schwierigkeiten, insbesondere über das Ausbleiben genossenschaftlichen Gewinns, hinweg. Aus einer massiven finanziellen Stützung der Reproduktion der LPG mußten gleichzeitig aber Hemmnisse für ein genossenschaftliches Eigentümerverhalten erwachsen, wie sie W. Schmidt 1956 beschrieben hat. "Besteht bei der Bildung des Naturalfonds die ökonomische Notwendigkeit (nämlich Sicherung des Saatgutbedarfs und der Futtermittel für die genossenschaftliche Wirtschaft), so fällt sie praktisch bei den Geldzuführungen zu den unteilbaren Fonds weg. Das ist der Fall, weil die Genossenschaften ohne Unterschied in der Lage sind, mit Hilfe staatlicher Kredite auf der Grundlage des bestätigten Produktions- und Finanzplanes zu wirtschaften. Das fördert die schädliche Einstellung, daß die Ergebnisse genossenschaftlicher Arbeit möglichst voll zu verteilen sind, während für den Aufbau der Genossenschaft staatliche Kredite bereitgestellt werden müssen." Und die Konsequenz dieser Verzerrung des genossenschaftlichen Eigentumsverhältnisses? "Bei großen Bauvorhaben, die aus langfristigen Krediten finanziert werden, fühlen sich die Genossenschaftsbauern daher nicht einmal als Bauherr, sie lassen Unzulänglichkeiten in der Bauweise, Vergeudung von Material und Arbeitszeit zu, betrachten dies nicht als ihren persönlichen Schaden." Quelle!

Wenn W. Schmidt sagt, daß die staatlichen Kredite "ohne Unterschied" in Anspruch genommen werden konnten, so meint er damit, daß weder der Grad der eigenen Anstrengungen der Genossenschaftsbauern zur Reproduktion ihres genossenschaftlichen Produktionsvermögens, noch die Produktionswirksamkeit der beanspruchten Kredite in Rechnung gestellt wurden. "Die Bildung des unteilbaren Fonds bzw. die Existenz von Geldmitteln auf dem Konto der Deutschen Bauernbank ‚Unteilbarer Fonds? ist nicht Bedingung für die Gewährung staatlicher Kredite." Quelle!
Die Überwindung dieser Lage war unlöslich verbunden mit der allseitigen Verwirklichung einer sozialistischen Agrarökonomik, in der das genossenschaftlich-sozialistische Eigentum seine wissenschaftliche Widerspiegelung und Leitschnur findet. Erst mit ihrer Hilfe konnten die staatlichen Subventionen allmählich zu ökonomischen Hebeln weiterentwickelt werden. Für die Gewährung staatlicher finanzieller Hilfen konnte damit mehr und mehr der Grundsatz zur Geltung kommen, daß eine Steigerung der genossenschaftlichen Einnahmen unmöglich sein sollte ohne nachgewiesene Produktionssteigerung. In diesem Sinne wurde seit Januar 1962 die Gewährung von Krediten zur Auszahlung von Arbeitseinheiten abhängig gemacht von der Planerfüllung der betreffenden Genossenschaft.

Zur vollen Durchsetzung der genossenschaftlich-sozialistischen Eigentumsverhältnisse gehört die Übernahme des Teils der materiell-technischen Basis der genossenschaftlichen Großproduktion, der in der ersten Phase der genossenschaftlichen Entwicklung als Volkseigentum in den MTS existierte. Schon die leihweise Übergabe der MTS-Technik an fortgeschrittene LPG des Typ III, stellte einen wichtigen Schritt in Richtung auf das organische Ganze des genossenschaftlichen Eigentumsverhältnisses dar. Indem die Genossenschaften nun selbst verantwortlich wurden für einen ökonomischen Einsatz der entscheidenden Produktionsinstrumente der Feldwirtschaft, wodurch ein Teil des nichtproduktiven Aufwandes eingespart werden konnte, wurde eine beträchtliche Steigerung der Effektivität erzielt. Für den Kreis Quedlinburg wurden im Zusammenhang mit der Übergabe der Technik im zweiten Halbjahr 1959 im Vergleich zu 1958 eine Leistungssteigerung auf 158 %, eine Senkung der Selbstkosten je Hektar mittleren Pflügens um 29,8 % und des Brennstoffverbrauchs um 29 % erreicht. Quelle!

Am 1.7.1963 traten kostendeckende MTS-Tarife in Kraft, wodurch die LPG ökonomisch angeregt wurden, zum Kauf der Maschinen und Geräte der MTS/RTS, die bereits 1964 in Kreisbetriebe für Landtechnik umgewandelt werden konnten. In der Entwicklung der genossenschaftlichen Produktionsverhältnisse mußte sich die vollständige Übernahme der Verantwortung für die Reproduktion des landwirtschaftlichen Grundmittelbestandes durch die LPG in der Weise niederschlagen, daß bei den Zuführungen zu den unteilbaren Fonds nun die Akkumulation von der Amortisation geschieden wurde. "Mit der bisherigen Höhe und Form der Fondsbildung kann die einfache und erweiterte Reproduktion nicht gesichert werden. Es ist deshalb notwendig, die Abschreibung der Grundmittel jährlich dem Amortisationsfonds zuzuführen und einen Akkumulationsfonds der LPG zu schaffen." Quelle!, hieß es deshalb im Beschluß des VIII. Deutschen Bauernkongresses.

Die Aufgaben der staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe, wie sie sich beim Übergang zur höheren Phase der Entwicklung der LPG veränderten, lassen sich auf diesen Nenner bringen: Entwicklung solcher Beziehungen zwischen genossenschaftlichem und volkseigenem Sektor unserer Volkswirtschaft, die eine volle Entfaltung der Eigendynamik des genossenschaftlich-sozialistischen Eigentumsverhältnisses im Sinne einer vollkommen in die sozialistische Volkswirtschaft integrierten Landwirtschaft stimulierten. Damit mußten sich alle staatlichen Einrichtungen, die mit Landwirtschaft befaßt waren, weiterentwickeln. Das ganze System von Erfassung und Aufkauf - einschließlich seines administrativen Instrumentariums - entsprach nicht mehr den Anforderungen. Zu einer Zeit, da bereits die Wege zur Durchsetzung industriemäßiger Produktionsmethoden erörtert wurden, also 1963, mußte es offenkundig werden, "noch immer werden in der Regel mengenmäßig geringe Auflagen (z. B. bei Geflügelhaltung, beim Gemüseanbau, Tabakanbau u. a. auf die Betriebe eines Verwaltungsbereiches anteilmäßig verteilt, so daß dadurch eine starke Zersplitterung der Produktion der landwirtschaftlichen Betriebe entsteht, die keine rationelle Mechanisierung, geschweige eine Anwendung industriemäßiger Produktionsmethoden zuläßt und teilweise die Betriebe zum Festhalten an kleinbäuerlichen Produktionsmethoden veranlaßt." Quelle!

Für die Arbeit der Räte der Bezirke und der Kreise folgerte der Beschluß des VII. Deutschen Bauernkongresses: "Es muß die noch sehr schematische Behandlung der einzelnen LPG, Kreise und Bezirke im gesamten Leitungsapparat überwunden werden. Dazu ist es notwendig, daß ein richtiges System der Bilanzierung der hauptsächlichen ökonomischen Kennziffern, die die Bruttoproduktion und die Marktproduktion bestimmen, entwickelt und angewendet wird, das auf den bestätigten Produktionsplänen der LPG beruht. Entsprechend den Forderungen des Volkswirtschaftsplanes sollte auf der Grundlage dieser exakten Bilanzen die Aufschlüsselung des Planes der Marktproduktion, der Produktionsmittel usw. erfolgen." Quelle!
Wie umfangreich die dafür erforderlichen Veränderungen im Qualifizierungsstand der staats- und wirtschaftsleitenden Funktionäre waren, erhellt aus einer Beschreibung des Jahres 1967. "Von den Mitgliedern der Kreisproduktionsleitungen z. B. haben etwa 80 % eine abgeschlossene Hochschul- oder Fachschulausbildung. Neben den Leitungskadern mit einer landwirtschaftlichen Ausbildung gibt es jedoch nur zehn Prozent, die auf ökonomischem bzw. finanzökonomischem Gebiet einen Hochschulabschluß oder Fachschulabschluß besitzen. Noch ungenügender ist die Ausbildung von Leitungskadern auf rechtswissenschaftlichem Gebiet, obwohl die LPG, VEG usw. In zunehmendem Maße eine rechtliche, insbesondere wirtschaftsrechtliche Beratung von unseren Leitungsorganen fordern." Quelle!

Die volle Entfaltung des genossenschaftlich-sozialistischen Eigentumsverhältnisses als integralem Bestandteil der einheitlich sozialistischen Produktionsverhältnisse unserer Volkswirtschaft verlangte komplexe Lösungen, die nur in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis zu erbringen waren. Auf solche Lösungen orientierte der VIII. Deutsche Bauernkongreß, indem er postulierte: "Es dient der Förderung der Initiative und der materiellen Interessiertheit der LPG an hohen volkswirtschaftlichen Leistungen, daß wir bei der weiteren Durchführung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung in der Landwirtschaft zu einem in sich geschlossenen System ökonomischer Hebel kommen. Dabei müssen Preise, Steuern, Kredite usw. so zusammenwirken, daß jede LPG, die gut wirtschaftet, einen Gewinn erzielen kann. Ausgangspunkt für die Preisgestaltung soll der gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand sein... . LPG, die durch hohe Arbeitsproduktivität die Betriebskosten unter das für ihre Bedingungen normale Niveau senken, sollen höhere Gewinne erzielen, die auch eine höhere erweiterte Reproduktion und höhere persönliche Einkünfte der Mitglieder ermöglichen. Leistet eine LPG dagegen schlechte Arbeit, sind Organisation und Leitung und wissenschaftlich-technischer Fortschritt ungenügend, dann werden die betrieblichen Selbstkosten hoch und die Einkünfte der LPG sowie das persönliche Einkommen der Mitglieder geringer sein. Es wird eine ganz normale Lage entstehen. Die Leistung des einzelnen Betriebes wird von der Gesellschaft richtig gewertet." Quelle!

Die adäquate preisliche Bewertung von betrieblichem wie individuellem Arbeitsaufwand stellt den Dreh- und Angelpunkt dessen dar, was so oft als "sozialistische Marktbeziehungen" deklariert wurde. Sie war zugleich die größte Schwierigkeit dieses Systems von Beziehungen, das planmäßig und in vollem Bewußtsein aller entscheidenden Nah- und Fernwirkungen installiert werden mußte. Die Schaffung eines selbstregulierenden Systems ökonomischer Hebel war aber schon deswegen zumindest nicht sofort mit aller Konsequenz durchzusetzen, weil die Differenziertheit im Leistungsvermögen der einzelnen LPG außerordentlich groß war. Eingedenk dieser Tatsache erklärte W. Ulbricht deshalb 1964 u. a.: "Gegenwärtig ist die einheitliche Preisgestaltung bei allen tierischen Erzeugnissen infolge der differenzierten Entwicklung der LPG noch nicht möglich. Hinzu kommen die komplizierten Probleme, die sich aus dem Wirken der Differentialrente ergeben. Bei der weiteren Durchführung des ökonomischen Systems der Planung und Leitung kommt es darauf an, wissenschaftlich auszuarbeiten, wie Erzeugerpreise, Produktionsmittelpreise, Steuern und Kredite so zusammenwirken, daß jede LPG mit einer hohen Produktion und niedrigen Kosten einen Gewinn erzielt." Aber es wäre mit dem Sozialismus unvereinbar, wenn die vorhandene Differenzierung zwischen den Betrieben erweitert reproduziert und ein Teil der noch wenig rentabel wirtschaftenden Genossenschaften an den Rand des Ruins geraten würden.

Walter Ulbricht warnte daher vor überstürztem Vorgehen: "Jeder Schritt, den wir in dieser Richtung tun, geht von dem Grundsatz aus: ‚Was der Gesellschaft nützt, muß auch dem einzelnen sozialistischen Betrieb und den Werktätigen des Betriebes nützen."

Die der höheren Phase der Entwicklung des genossenschaftlichen Eigentumsverhältnisses angemessene Qualifizierung der Tätigkeit der staats- und wirtschaftsleitenden Organe bestand im Übergang von einer der "Erfassungs- und Aufkaufideologie" entsprechenden Reglementierung von Einzelheiten des genossenschaftlichen Reproduktionsprozesses zu einer komplexen Führung und Leitung des Volkswirtschaftszweiges Landwirtschaft. Mehr und mehr bildeten sich Direktbeziehungen zwischen Industrie und Landwirtschaft heraus, die die VEAB allmählich überflüssig machten. An die Stelle der Erfassungs- und Aufkaufbetriebe traten schrittweise spezialisierte, produktorientierte Einrichtungen wie die bezirksgeleiteten volkseigenen Kombinate Getreidewirtschaft, Fleischwirtschaft, die Milchwirtschafliche Vereinigung, VEB Geflügelwirtschaft oder die zentral geleiteten Wirtschaftsvereinigungen Obst, Gemüse und Speisekartoffeln und das Leitkombinat Zuckerwirtschaft. Der Übergang zu ökonomisch entwickelten Beziehungen war aber nur in dem Tempo sinnvoll, wie damit ein positiver volkswirtschaftlicher Effekt verbunden war. Eine "Abhofvermarktung", wie sie mit den Direktbeziehungen zwischen LPG und industriellen Verarbeitungsbetrieben verbunden ist, verlangt große, kontinuierlich erzeugte Warenposten relativ stabiler Qualität, die zahlreiche LPG objektiv noch nicht zu erzeugen vermochten. Gleichzeitig war die Schaffung umfangreicher Lagerkapazitäten und häufig auch eine Teilrekonstruktion der Verarbeitungsbetriebe erforderlich, was nur unter Maßgabe unserer volkswirtschaftlichen Möglichkeiten zu realisieren war.

 

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