Inhaltsübersicht

  • Vorbemerkung zur Vorbemerkung danach
  • 1. Mutterschaft und Berufstätigkeit
  • 1.1. Quantität und Verteilung der Mutterschaften in der berufstätigen Bevölkerung der Untersuchungsterritorien
  • 1.1.1. Das Datenmaterial
  • 1.1.2. Konsequenzen des statistischen Materials
  • 1.2. Elternschaft und Arbeitszeitgestaltung
  • 1.2.1. Landwirtschaftlicher Produktionsrhythmus und Lebensrhythmus ländlicher Familien
  • 1.3. Die individuelle Hauswirtschaft - eine familienbezogene Produktionsorganisation
  • 1.4. Das Einkommen der berufstätigen Mütter
  • 1.5. Die Berufstätigkeit der Mütter in ihrer immateriellen Bedeutung
  • 2. Die Frau in der ländlichen Familie
  • 2.1. Äußere Struktur der Familie
  • .1.1. Ein- und Zwei-Elternteils-Familien
  • 2.1.2. Die Anzahl der Kinder
  • 2.1.3. Das Beziehungsumfeld der Kernfamilie
  • 2.2. Der Familienzyklus
  • 2.3. Innere Struktur der Familie
  • 2.3.1. Entscheidungsfindung und Verantwortlichkeiten in der Familie
  • 2.3.2. Arbeitsverteilung unter zeitlichem Aspekt
  • 3. Familie - Sozialstruktur - Sozialpolitik
  • 3.1. Zum Problem der Zuordnung bestimmter Familien zu bestimmten Klassen und Schichten
  • 3.2. Zur Rolle der Familien bei der Regeneration der Klasse der Genossenschaftsbauern und der ländlichen Sozialstruktur
  • Verzeichnis der Tabellen

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    Selbstauskunft des Autors!


    Vorbemerkungdanach

    (Vorbemerkung zur Vorbemerkung: Ob das Interesse, das die damalige Chefin der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern äußerte, echt war, hat mich nicht sehr beschäftigt. Der Anstoß und Vorwand war geliefert, ein altes Manuskript, das natürlich auch schon zur Zeit seiner Entstehung 1987-1988 zu wenig beachtet worden ist, wieder herauszuholen.)

    Längst ist der Computer VEB "Robotron", mit dem das Manuskript ins Reine geschrieben worden ist, verschrottet. Dem dazu gehörigen Betriebssystem ging es nicht anders. Nur die Diskette mit dem Text blieb erhalten. Er wurde transformiert und mußte für einen heutigen Drucker neu formatiert werden. Dabei wurden einige Tippfehler beseitigt, jedoch wurde keine Formulierung verändert, weggelassen oder hinzugefügt.

    Längst ist die Institution, in deren Rahmen die Studie erarbeitet wurde, abgewickelt. Das dazu gehörende Personal hat seinen Arbeitsgegenstand verloren. Das eine oder andere Arbeitsergebnis kann Zeugnis ablegen dafür, daß nicht alles, was an einer Sektion Marxismus-Leninismus entstanden ist, als Propaganda verworfen werden muß. Der hier vorgelegte Text ist eine soziologische Studie.

    Längst ist die Gesellschaftsstruktur, auf die sich die soziologische Untersuchung bezieht, Vergangenheit. Die Menschen, die sich in dieser Gesellschaft verhielten, sind in großer Zahl noch da. Sie verhalten sich in anderen Kontexten, doch sie haben ihre Geschichte. Das heutige Dorfleben bleibt verbunden mit dem, was vor fünf Jahren verworfen wurde. Die 45 Jahre dörflicher Entwicklung unter sozialistischen Vorzeichen können nicht ignoriert werden.

    Ich bin Frau Christa Drews-von Steinsdorff dankbar dafür, daß sie den Anstoß dazu gab, das alte Manuskript auszugraben und noch einmal durchzusehen. Es war für mich ein Stück Begegnung mit einer früheren Periode des eigenen Lebens, eine Begegnung, die keineswegs beschämt.

    Jürgen Trinkus
    Greifswald, den 26. November 1994


    1. Mutterschaft und Berufstätigkeit

    Die Fixierung räumlich und zeitlich getrennter Bereiche der Lebenstätigkeit - Berufstätigkeit und Familie - wurde mit dem genossenschaftlichen Zusammenschluß der bäuerlichen Produzenten auch in den Agrargebieten im Norden der DDR zu einer vollständig ausgeprägten Tatsache. Unter dem spezifischen Bedingungen dieser Territorien gilt die gesamtgesellschaftlich formulierte Zielstellung der SED, "daß die Frauen ihre berufliche Tätigkeit noch erfolgreicher mit ihren Aufgaben als Mütter und in der Familie vereinbaren können."

    1.1. Quantität und Verteilung der Mutterschaften in der berufstätigen Bevölkerung der Untersuchungsterritorien

    1.1.1. Das Datenmaterial

    Alle in diesem Abschnitt gemachten Angaben stützen sich auf Unterlagen der Staatlichen Verwaltung für Statistik. Mit dem Formblatt 055/1 und 055/2 erfaßt die Arbeitskräftestatistik insbesondere die vollberufstätigen Mütter mit einem, zwei, drei und mehr Kindern unter 16 Jahren. Diese, bislang u.E. zu wenig genutzten Daten sind geeignet, eine auf das jeweilige Territorium bezogene Analyse der Tendenzen und aktuellen Probleme der Berufstätigkeit von Frauen zu vertiefen.

    Freilich könnte der quantitative Zusammenhang von Mutterschaft und Teilzeitarbeit schärfer fixiert werden, wenn nicht allein die vollberufstätigen Mütter erfaßt würden.

    Ein typisches Bild der Struktur der berufstätigen Bevölkerung in agrarisch geprägten Territorien gibt der Landkreis Greifswald. Er wurde nicht zuletzt deshalb als Beispiel (siehe Tabelle) gewählt, weil er unmittelbar ins Verhältnis gesetzt werden kann mit dem im selben Kreis gelegenen Stadtgebiet.

    Tabelle 1
    Verteilung der Arbeitskräfte insgesamt, der Frauen und der berufstätigen Mütter auf die Volkswirtschaftsbereiche des Stadt- und Landkreises Greifswald (Stand: 30. 9. 1988 in %) Bereich Beschäftigte Frauen Mütter Frauen- Mutter- anteil schafts- quote ------------------------------------------------------------- Stadt ----- Industrie 30,7 21,1 20,6 33,1 15,9 Wissensch./ Bildg./Kult. Gesundheitsw. 26,9 40,8 46,0 73,3 51,3 Bauwesen 13,4 3,7 3,8 13,6 8,5 Handel 10,9 16,8 16,5 74,1 43,0 Verkehrsw. 9,4 7,5 6,1 38,4 19,1 Kommunalwirt. 3,8 4,5 4,1 56,7 32,2 Sonstig. prod.Bereiche 3,2 3,4 1,5 51,3 10,3 Staatl.Verwal- tung,gesell. Org. 1,7 2,3 1,3 63,2 24,4 Landkreis --------- Land-und Forstw. 49,9 37,9 45,7 33,8 26,5 Wissensch./ Bildg/Kultur/ Gesundheit 17,3 30,4 41,6 78,3 69,7 Industrie 10,6 7,2 2,1 30,5 5,8 Bauwesen 8,8 3,2 2,8 1,4 9,2 Handel 5,7 10,5 1,1 82,3 5,5 Staatl.Ver- waltung, gesell.Org. 4,5 6,7 5,7 67,4 35,6 Verkehrsw. 1,7 2,5 0,5 66,0 9,2 Kommunalwirt. 1,5 1,4 0,4 42,2 7,0 ------------------------------------------------------------ Im Landkreis Greifswald ist die Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft eindeutig der Bereich, der die meisten Arbeitskräfte bindet (49,9 %). Von den im Landkreis insgesamt berufstätigen Frauen sind 37,9 % und von den vollberufstätigen Müttern 45,7 % in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Eine herausragende Rolle bei der beruflichen Tätigkeit der Frauen im Landkreis spielt jedoch auch der Bereich Wissenschaft, Bildung, Kultur und Gesundheitswesen, der neben Handel und Kommunalwirtschaft für die Qualität des Landlebens entscheidende Bedeutung besitzt. In den eben genannten Bereichen konzentrieren sich 50 % der im Landkreis berufstätigen Frauen bzw. 48,9 % der vollberufstätigen Mütter. Eine Innensicht der Zweige vermitteln die beiden rechten Spalten der Datenübersicht; Dabei wird der Frauenanteil in der Kennziffer "Mutterschaften vollberufstätiger Frauen je 100 Beschäftigte" sozialpolitisch problematisiert. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Bereiche Verkehr, Post- und Fernmeldewesen sowie Handel, in denen die Teilzeitarbeit eine sehr große Rolle spielt. Hier haben Frauen in hohem Maße die Möglichkeit, Teilzeitbeschäftigungen zu finden. Da aber ein Teil der Arbeitsplätze (auf der Basis ökonomischer Parameter) von Anfang an als Teilzeitarbeitsplätze ausgewiesen sind, wird hier ein traditionelles Rollenverständnis vorausgesetzt und reproduziert, demzufolge das Hauptaktionsfeld der Frau zu Hause liegt. Die Bedürfnisstruktur der heranwachsenden Müttergenerationen deckt sich damit immer weniger. Trotz eines sinkenden Frauenanteils in den Landwirtschaftsbetrieben, bleiben diese in den agrarisch strukturierten Gebieten noch immer der Bereich, der die meisten weiblichen Arbeitskräfte beschäftigt. Hier darf die analytische Arbeit jedoch nicht stehenbleiben. Von perspektivischer Bedeutung ist nämlich, in welchem Maße sich dieser Frauenanteil regeneriert. Um diese Frage beantworten zu können, ist die Struktur des weiblichen Arbeitsvermögens zu betrachten. Unter dem Aspekt der Regenerationsdynamik sind zwei Kennziffern aussagekräftig: der Altersdurchschnitt und der Anteil der Mütter von Kindern unter 16 Jahren. Von synthetischem Aussagewert ist die Kennziffer "Mutterschaften je 100 Beschäftigte", weil sie indiziert, in welchem Maße der Betrieb mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen konfrontiert ist, die mit der Beschäftigung junger Frauen verbunden sind. Um diese Situation differenziert betrachten zu können, empfiehlt es sich zunächst, die Landwirtschaftsbetriebe eines Kreises mit ihren Frauenanteilen und Mutterschaftsraten aufzulisten. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten sollte die Betrachtung auf die Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten begrenzt werden, um die Aussagefähigkeit der Relationen einigermaßen sicherzustellen. Tabelle 2: Landwirtschaftsbetriebe mit mindestens 100 Beschäftigten, geordnet nach Mutterschaften je 100 AK (Stand: 30.9.1988) ------------------------------------------------------------ Betrieb Mutter- Mutter- Frauenan- schaften schaften teil je 100 Ak je 100 wbl.Ak ------------------------------------------------------------ VEG Gartenbau Greifswald 53,3 89,4 89,7 ZGE Gartenbau Greifswald 51,9 63,5 Milchviehanlage Bandelin 50,6 110,1 45,9 LPG T Neu-Boltenhg. 41,6 120,0 34,7 LPG P Groß-Kiesow 36,9 127,4 29,0 LPG T Mesekenhagen 34,6 110,7 31,3 LPG T Griebow 33,3 40,4 LPG P Neuenkirchen 34,2 110,1 31,1 LPG T Stilow 30,3 93,9 32,2 LPG T Dersekow 30,0 85,5 30,4 LPG T Gützkow 28,1 83,8 33,5 LPG P Kemnitz 25,1 80,6 31,2 LPG T Dargelin 22,3 71,9 32,1 LPG T Groß-Kiesow 22,1 63,3 34,9 LPG P Dersekow 21,0 65,5 32,1 LPG P Züssow 19,8 62,4 31,7 LPG T Lühmannsdorf 19,3 70,7 27,3 VE Tierzucht Greifsw. 19,0 60,0 31,8 LPG T Kemnitz 17,8 77,4 23,0 LPG T Züssow 16,0 85,0 18,9 LPG P Gützkow 15,4 55,8 27,7 LPG P Wusterh. 15,1 42,6 35,6 ------------------------------------------------------------ Auf dieser Grundlage lassen sich die Betriebe wie folgt klassifizieren: 1. Betriebe mit weit über dem Kreisdurchschnitt liegendem Frauenanteil und gleichfalls überdurchschnittlicher Mutterschaftsrate. Hier finden sich besonders die Gartenbaubetriebe und modernen Milchviehanlagen; 2. Betriebe mit ausgeglichener Bilanz, die sich in der Nähe des bzw. mäßig über dem Durchschnitt befinden. In dieser Gruppe finden wir sowohl Pflanzenbaubetriebe, wie auch (in größerer Zahl) Betriebe der Tierproduktion, bei denen das Bild allerdings insgesamt wesentlich differenzierter ausfällt; 3. Betriebe mit einem unterdurchschnittlichen Frauenanteil, aber einer dazu unverhältnismäßig hohen Mutterschaftsrate. Diesen Betrieben ist es offenbar gelungen, in den letzten Jahren Fortschritte in der Sicherung des weiblichen Berufs- und Klassennachwuchses zu erreichen; 4. Betriebe mit einem hohen Frauenanteil, aber einer unbefriedigenden Mutterschaftsrate. Auf diese Betriebe soll die Aufmerksamkeit gelenkt werden, weil sie als Problemfälle nicht erkannt werden, solange nur der Frauenanteil betrachtet wird, der sich aber - wie die Betrachtung unter dem regenerativen Aspekt zeigt - nicht reproduziert. 5. Betriebe mit einem unterdurchschnittlichen Frauenanteil und einer ebenfalls unterdurchschnittlichen Mutterschaftsrate. In dieser, wie auch in der vorgenannten Gruppe, finden wir zum Teil auch ökonomisch starke, in ihrer derzeitigen Leistungsfähigkeit anerkannte Pflanzenbaubetriebe. In der Kennziffer "Mutterschaft je 100 Beschäftigte" (Mutterschaftsrate) kommt zwar das Maß der sozialpolitischen Betroffenheit und Aktivität der Betriebe zum Ausdruck, doch empfiehlt es sich, in der Analyse eine weitere Kennziffer anzuwenden: Mutterschaften je 100 der weiblichen Beschäftigten. Diese Kennziffer bringt die Regenerationsdynamik klarer zum Ausdruck, denn in Betrieben mit hohem Frauenanteil z.B. wird die Mutterschaftsrate (bezogen auf 100 der männlichen + weiblichen Beschäftigten) auch dann noch hoch ausfallen, wenn die Struktur der weiblichen Beschäftigten relativ ungünstig ist: hohe Überalterung, niedriger Berufsnachwuchs. Ein nächster Schritt der Analyse des statistischen Materials über die Landwirtschaftsbetriebe ergibt sich aus der Notwendigkeit, die Möglichkeiten zur Berufstätigkeit in der Landwirtschaft für junge Mütter und die Nutzung dieser Möglichkeiten im territorialen Rahmen zu betrachten. Dazu sind die Betriebsdaten im Rahmen der Kooperationen zusammenzufassen. Die nun noch auftretenden Differenzierungen (sie sind in der Regel nicht mehr so gravierend wie auf der betrieblichen Ebene) sind in ihrer Interpretation in Beziehung zu setzen zur Agrarquote und zur demographischen Struktur des jeweiligen Territoriums. Auf dieser Grundlage ist es dann möglich, Maß und Inhalt sozialpolitischen Handlungsbedarfs im Territorium schärfer herauszuarbeiten. Der ungünstigste Fall liegt vor bei hoher Agrarquote, niedriger Mutterschaftsrate und überhöhtem Frauendefizit in den demographisch aktiven Altersgruppen. 1.1.2. Konsequenzen des statistischen Materials Die Berufstätigkeit von Frauen, die Mütter sind, gehört in der sozialistischen Gesellschaft der DDR zu den Grundlagen ihrer entwickelten Bedürfnisstruktur. Junge Frauen wollen sich in der Familie und im Beruf verwirklichen. Die Möglichkeiten hierzu sind territorial allerdings stark differenziert. Infolgedessen gibt es ein geschlechtsspezifisches Wanderungsverhalten mit demographisch erosiver Wirkung. Mit der Verringerung der demographischen Regenerationsfähigkeit des Territoriums verringern sich mittelfristig auch die Möglichkeiten zur personellen Reproduktion der Klasse der Genossenschaftsbauern und des ländlichen Arbeitsvermögens. Innerhalb des umrissenen komplexen Zusammenhangs kommt der mütter- und familiengerechten Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen zentrale Bedeutung zu. Darüber muß zunächst Klarheit herrschen in den Köpfen. Symptomatisch für eine noch immer weit verbreitete Leiterauffassung dürfte die Meinung eines LPG-Vorsitzenden sein, die er in einem Expertengespräch äußerte: "Frauen beschäftige ich gern. Sie sind meist disziplinierter und arbeiten oft gründlicher als Männer. Aber sie müssen älter als 35 sein." Besonders unangreifbar scheint solche Haltung zu sein, wenn sie in ökonomisch erfolgreichen Betrieben vertreten wird, die in ihren Arbeitsergebnissen das Kreisniveau entscheidend mitbestimmen. Doch gerade auch in diesen Fällen muß die Frage gestellt werden, wie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Frauen über 35 gewonnen werden sollen, wenn sie in den Jahren aktiver Mutterschaft in der sozialistischen Landwirtschaft ihres Territoriums keine Perspektive für sich finden konnten. Migration und demographische Aktivität fallen in den gleichen Lebensabschnitt junger Menschen, in das Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Daß die Liebe das hauptsächliche Wanderungsmotiv sei, kann so undifferenziert nicht anerkannt werden, bleibt eine solche Einschätzung doch an der Oberfläche stehen und erklärt weder territoriale noch geschlechtsspezifische Wanderungsverluste bzw. -gewinne. Unter familialen Gesichtspunkten können im Wanderungsverhalten u.E. folgende Bewegungen unterschieden werden, die noch der näheren Untersuchung bedürfen: 1. Migration im Zusammenhang mit der Familiengründung Je dünner die Besiedelung ist, umso weiter müssen sich die "Heiratskreise" räumlich ausdehnen. Wäre die Partnerfindung ein isoliert bzw. unkanalisiert wirkendes Motiv im Wanderungsverhalten, müßten sich die Wanderungssalden der verschiedenen Gemeinden ausgleichen, was sie aber nicht tun. Zu berücksichtigen ist aber folgende Feststellung: "Wer schon aus Gründen der Partnerwahl und im Zusammenhang mit der Bildung eines gemeinsamen Haushaltes den Wohnort zu wechseln hat, wird diesen Vorgang zugleich als günstige Gelegenheit zum Hinzug zum als attraktiver empfundenen Wohnort nutzen." 2. Familienmigration. Es kann davon ausgegangen werden, "daß im Prozeß der Familienwanderung die Migrationshäufigkeit ebenso wie die Migrationsrichtung auch heute noch in stärkerem Maße durch die Männer bestimmt wird" und also "bei der Migration von Familien das Migrationsverhalten der Frauen weniger von ihren eigenen sozialen Charakteristika als von denen des Ehepartners bestimmt wird." 3. Nachfamiliale Wanderung. Hierbei klammern wir das Problem der Verwitwung im höheren Lebensalter aus und beschränken uns auf die vorzeitige Auflösung von Partnerschaften. In dem Maße, wie die Wanderung bei Familiengründung und Wanderung von Familien durch die sozialen Charakteristika der Männer dominiert waren, ist impliziert, daß die Partnerin einen Milieuwechsel vollzogen hatte, der für sie nicht optimal sein mußte. So gesehen ist davon auszugehen, daß unter dörflichen Bedingungen - und vor allem hier! - ein Wegzug der Frau nach Scheidung bzw. Trennung naheliegend ist. Die Bedeutung privaten Grundstücks- und Hausbesitzes in diesem Zusammenhang ist gleichfalls näher zu untersuchen. 4. Vorfamiliale Wanderung. Sie wird an letzter Stelle genannt, um sie in ihrer Bedeutung für die Entstehung demographischer und sozialstruktureller Geschlechtsparitäten herauszuheben. Vorfamiliale Wanderung bahnt sich meist schon im Ausbildungsverhältnis an. Entscheidend dürfte hierbei die negative Einschätzung der eigenen Perspektive im heimischen Territorium, gemessen an den persönlichen Lebensplänen, sein. In dem Maße, wie sich die Perspektive junger Männer und Frauen im ländlichen Territorium verschieden darstellt, wird sich auch das vorfamiliale Migrationsverhalten zwischen den Geschlechtern unterscheiden. Der geschlechtsspezifische Wanderungsverlust der ländlichen Produktions- und Wohnorte ist in allen drei Nordbezirken eine evidente Tatsache. Die folgende Übersicht soll das belegen. Die Berechnung basiert auf dem Gemeindedatenspeicher der Sektion Geographie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Die Gemeindetypisierung nach Merkmalen spezifischer Reproduktionsrealisierung stammt von W. Weiß. Die DDR-Werte werden zur Orientierung als Normalverteilung angegeben. Tabelle 3: Frauendefizit in den demographisch aktiven Altersgruppen der 1229 Gemeinden der drei Nordbezirke in Prozent Alters- DDR Gemeinde- gruppe ges. typ I II III IV V ----------------------------------------------------------- 15-19 4,66 4,73 2,89 5,73 5,99 2,92 20-24 5,37 7,09 16,84 11,81 15,33 15,85 25-29 5,13 4,78 19,46 16,41 20,21 27,18 30-34 4,34 4,41 20,94 21,32 23,28 25,89 35-39 3,62 4,40 23,51 21,00 18,69 20,09 ----------------------------------------------------------- Anzahl der Ge- 238 38 483 323 147 meinden ----------------------------------------------------------- Daß die sichtbare Abweichung vom Normal migrationsbedingt ist, zeigt die Tatsache, daß sie erst bei den 20jährigen einsetzt. Daß die negativen Wanderungssalden zu einem hohen Teil weiblich belegt sind, bestätigt, daß junge Frauen (potentielle Mütter) die eigene Situation und Perspektive ungünstiger bewerten als gleichaltrige Männer. Hieraus leitet sich sozialpolitischer Handlungs- und Gestaltungsbedarf ab, denn die Gründung und soziale Bindung junger Familien in allen Gemeinden des Landes in genügender Zahl ist für die demographische, soziale, ökonomische und kulturelle Zukunft dieser Produktions- und Siedlungsstandorte ausschlaggebend, setzt aber voraus, daß Frauen als berufstätige Mütter und Persönlichkeiten die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Standorte ebenso annehmen wie Männer. In den agrarisch geprägten Territorien bleiben die Landwirtschaftsbetriebe in besonderem Maße auf eine dynamische Bevölkerungsentwicklung angewiesen und können sie durch gezielte Aktivität zur Unterstützung werktätiger Mütter beeinflussen. Die vielfältigen Möglichkeiten hierzu lassen sich in 4 Richtungen thematisieren. 1. Arbeitsorganisatorische Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft unterstützen; 2. Sozialleistungen des Betriebes: Wohnungs- und Erholungswesen, Speiseversorgung, Transport- leistungen, Vermittlung und organisatorische Sicherstellung eines Teils der gesundheitlichen Betreuung sowie wichtiger Dienstleistungen; 3. Gezielte berufliche Förderung werktätiger Mütter; 4. Materielle, personelle und moralische Einflußnahme auf kommunale Lösungen sozialpolitischer Aufgaben, die den Familien und vor allem den werktätigen Müttern zugute kom men. In allen genannten Richtungen gibt es bereits einen beträchtlichen Fundus positiver Erfahrungen. Am günstigsten ist die Lage dort, wo die Produktivkraftentwicklung so gestaltet werden konnte, daß die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft begünstigt wurde, wie das in einem Teil der moderneren Tierproduktionsanlagen der Fall ist. Die berufliche Perspektive für junge Mütter im Territorium beschränkt sich wie gezeigt, nicht auf die landwirtschaftliche Produktion. Hier sind gleichfalls solche Bereiche bedeutsam, die für die Lebensqualität der ländlichen Bevölkerung große Wichtigkeit besitzen: Handel, Dienstleistungen, Gesundheits- und Sozial-, Bildungs-, Verkehrs-, Post- und Fernmeldewesen, kulturelle Betreuung. 1.2. Elternschaft und Arbeitszeitgestaltung Zur Förderung der Gesundheit von Mutter und Kind und der ganzen Familie existieren gesellschaftliche Regelungen, die tägliche, wöchentliche, monatliche, jährliche und Lebensarbeitszeit von Frauen betreffen. Das sind insbesondere Freistellungen von Müttern vor und nach der Geburt sowie bei Krankheit der Kinder, sind die Verkürzung der Normalarbeitszeit bei mindestens zwei gesunden bzw. einem geschädigtem Kind auf 40 und weniger Wochenstunden, Haushaltstage u.a. Mit Ausnahme des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs, die untrennbar an die biologische Mutterschaft gebunden sind, können alle haushaltsmäßig und pflegerisch begründeten Arbeitsregelungen prinzipiell auch auf Väter und andere Personen (das sind dann vor allem Großmütter) übertragen werden. Die nachfolgend als ALB 84 bezeichnete Befragung ergab Angaben zur Freistellung bei Krankheit der Kinder von 130 Familien von Genossenschaftsbauern. In 82 von 130 Fällen bleibt die Mutter immer und nur in 11 nie zu Hause. Die Zahl der Genossenschaftsbauern, die als Ehemänner die Freistellung ausschließlich beanspruchen, beträgt in dieser Erhebung 0. Mindestens 2/3 von ihnen übernehmen diese Rolle nie. Von den 8,4 Prozent der Mütter, die die Freistellung nie in Anspruch nehmen, kann die ständige Verfügbarkeit einer Großmutter oder anderen vertrauten, zum Haushalt gehörigen weiblichen Person für die Kinderbetreuung angenommen werden. Die historisch gewachsenen und heute noch gegebenen Unterschiede in Inhalt und Extensität der Mutter- und Vaterrollen implizieren eine zeitliche und kräftemäßige Begrenzung der beruflichen Aktivität der Mütter, die für die Väter so nicht existiert. Für die Positionsverteilung im gesellschaftlichen Arbeits- und Aneignungsprozeß ist dieser Sachverhalt bedeutsam. Die gesellschaftlichen Leistungen, die eine Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Elternschaft überhaupt erst real werden lassen (Kindereinrichtungen, gesellschaftliche Speiseversorgung u.a.) sichern den werktätigen Müttern die Ableistung einer Normalarbeitszeit. Hoch qualifizerte und leitende Tätigkeiten verlangen jedoch ein hohes Engagement auch außerhalb der Normalarbeitszeit (Besuch von Konferenzen, Lehrgängen, Wahrnehmung operativer Aufgaben, persönliche Weiterbildung). Solche Aktivitäten tangieren das Familienleben. Mütter können über die Normalarbeitszeit hinaus nur in dem den Vätern vergleichbaren Maße aktiv werden, wie das Familienleben partnerschaftlich gestaltet und die Betreuung der Kinder gesichert ist. Dieser Zusammenhang der inneren Struktur der Familie und der Positionsverteilung zwischen Männern und Frauen im gesellschaftlichen Arbeits- und Aneignungsprozeß muß komplex betrachtet werden, kann aber nur dargestellt werden, in dem er zunächst aufgelöst wird. In diesem Sinne ist hier die familiale Relevanz der Arbeitszeitgestaltung werktätiger Mütter von Belang. Im Abschnitt "Innere Familienstruktur" soll dann das Korrelat hierzu untersucht werden: Die innerfamiliale Rollen-, Positions- und Zeitverteilung. 1.2.1. Landwirtschaftlicher Produktionsrhythmus und Lebensrhythmus ländlicher Familien Die Mindestanforderungen in der Betreuung kleiner Kinder sind biologisch begründet. Die Arbeitsabläufe in der Landwirtschaft sind es auch. Soweit Frauen (Mütter) in der sozialistischen Landwirtschaft tätig sind, bedeutet das für sie außerhäusliche, spezialisierte Berufstätigkeit. Diese Situation ist nicht älter als die landwirtschaftliche Großproduktion, deren Gestaltung eine bewegte und keineswegs abgeschlossene Geschichte hat. Um die gegenwärtige Situation hinsichtlich der Vereinbarkeit von Mutterschaft und landwirtschaftlicher Berufstätigkeit schärfer fixieren zu können, soll zunächst an die Arbeitsorganisation der bäuerlichen Familienwirtschaft erinnert werden. Arbeitsorganisation und damit Lebensrhythmus des einzelbäuerlichen Betriebes, der zugleich Haushalt war, wurden von einem ganzen System von Voraussetzungen bestimmt: verfügbare Produktionsmittel, Arbeitskräfte und -erfahrungen, natürliche Standortgegebenheiten, Eigenbedarf und fremde Nachfrage. Die Produktionstruktur war heterogen. Die Produktionsrichtungen waren so kombiniert, daß sich die verschiedenen diskontinuierlichen Arbeitsabläufe annähernd so ergänzten, daß das vorhandene Arbeitsvermögen möglichst kontinuierlich angewandt werden konnte. Dabei ist in der bäuerlichen Arbeitsorganisation immer von Belang gewesen, daß ein Teil dieses Arbeitsvermögens weiblich und an die Funktionen der Mutterschaft gebunden war. Morgens und abends versorgte die Bäuerin das Vieh; dazwischen bereitete sie Mahlzeiten und betreute die fürsorgebedürftigen Familienangehörigen (Kinder und Alte). Unterstützung erhielt sie bei körperlich schweren Stallarbeiten; andererseits war sie eine Arbeitskraftreserve für die Arbeitsspitzen im Feldbau. Die nicht agronomisch terminierten Beschäftigungen füllten die "Täler" zwischen den agrarischen Arbeitsspitzen. Die Rinder- und Schweinehaltung der einzelbäuerlichen Familienbetriebe war also so dimensioniert, daß die täglichen Verrichtungen der Fütterung, Pflege und des Melkens von einer bis zwei Arbeitskräften (meist weiblich) bewältigt werden konnten. Diskontinuierlich anfallende schwerere Arbeiten konnten von den männlichen Haushaltsmitgliedern erledigt werden in den "Arbeitstälern" des Feldbaus. Wenn Tierproduktionsanlagen, deren Größenordnung sich organisch in den einzelbäuerlichen Familienbetrieb einordneten, genossenschaftlich betrieben werden, haben wir es mit dem "geteilten Arbeitstag" zu tun: morgendliche und abendliche Arbeitsspitze lassen sich nicht in einer "Normalschicht" verbinden. Einerseits liegt die täglich erforderliche Arbeitszeit teilweise unter 8 Stunden; andererseits gibt es (ohne Vertretung) keine arbeitsfreien Tage. Von den in der Tierproduktion des Bezirkes Neubrandenburg beschäftigten Frauen arbeiten etwa 10 % im Schichtsystem, weitere 25 % haben eine normale, durchgehende Arbeitszeit, aber für 65 % der Frauen (sie arbeiten meist in kleinen Ställen) ist noch immer der geteilte Arbeitstag bestimmend. 340 Bäuerinnen, denen eine 40-Stunden-Woche zustünde, erhalten die darüber hinaus vom Arbeitsplatz verlangte Arbeitszeit gesondert vergütet. 200 Bäuerinnen des Bezirkes kann der Haushaltstag nicht gewährt werden; er wird in diesen Fällen extra vergütet. Stallungen, deren Größe nicht ausreicht, um Zweischichtbetrieb mit entsprechender sozialer Betreuung und der Möglichkeit, freie Tage zu gewähren, sicherzustellen, entsprechen u.E. nur ungenügend den genossenschaftlich sozialistischen Produktionsverhältnissen und den mit ihnen gewachsenen Bedürfnisstrukturen. Ein Teil dieser kleineren Stallungen wird tatsächlich von Ehepaaren betrieben, die ihren Arbeitstag durchaus in der einzelbäuerlichen Tradition gestalten. Obwohl hier Familie und Berufstätigkeit auf eine anderswo kaum noch zu erreichende Weise ineinander verzahnt werden können, ist diese Produktions- und Lebensorganisation für die Mehrheit der jüngeren Frauen aber nicht mehr attraktiv. Nicht im gewünschten Umfang können hier folgende Bedürfnisse realisiert werden: - Technisch und hygienisch ansprechende Arbeitsplatzgestaltung, - Kommunikation im Arbeitskollektiv, - Zusammenhängende Zeiten für Urlaub und Erholung, - Verringerung der Routineverrichtungen im Haushalt durch Inanspruchnahme gesellschaftlicher Leistungen. Das zuletzt genannte sollte nicht unterschätzt werden. Gerade in diesem Punkt weicht die Alltagsgestaltung der Beschäftigten der "herkömmlichen" Tierproduktionsanlagen signifikant von der der übrigen Genossenschaftsbauern ab, wie die nachstehenden Angaben zur Inanspruchnahme der betrieblichen Speiseversorgung deutlich machen. Offenbar stehen die meisten Frauen mit durchbrochenem Arbeitstag alltäglich am heimischen Kochherd, um für die Familie die Mittagsmahlzeit zu bereiten. ---------------- Tabelle 4: Teilnahme der Genossenschaftsbauern im Gemeindeverband Fäsekow-Grammendorf (Kreis Grimmen) am Betriebsessen in % ------------------------------------------------------------- Tätigkeitsgruppe Teilnahme 1983 Teilnahme 1973 ---------------------------------------------------------- Traktoristen, Mechanisatoren 73,3 79,5 Handarbeitskräfte im Feldbau 73,0 51,6 Werkstatt, Bau 81,7 71,2 Tierproduktion 36,0 25,6 In einer anderen Weise als in der Tierproduktion stellt sich das Vereinbarkeitsproblem unter arbeitszeitlichem Aspekt in der Pflanzenproduktion dar. Hier wechseln die Arbeitsanforderungen mit den Fruchtarten, der Jahreszeit und der Witterung. So ergeben sich Arbeitsspitzen im Sommer und Herbst; stark vermindert ist der Arbeitsbedarf im Winter. Vor allem in den Erntekampagnen läßt sich der Arbeitsanfall nur teilweise auf den Normalarbeitstag fixieren; das aber ist notwendig, damit ein Elternteil (das ist meist die Mutter) Berufs- und Betreuungsaufgaben in der Familie koordinieren kann. Ferner ist hier zu berücksichtigen, daß der größte Teil der Schulferien mit den Arbeitsspitzen in der Pflanzenproduktion zusammenfällt, daß aber die Teilnahme von solchen Kindern, die nicht am Schulort wohnen, an den Ferienspielen vielfach nicht gesichert ist. "Aus den LPG ist bekannt, daß eine Reihe Mütter in der Ferienzeit nur halbtags arbeiten, um den Kindern zur Verfügung zu stehen und sich um sie zu kümmern." 1.3. Die individuelle Hauswirtschaft - eine familienbezogene Produktionsorganisation "Feierabendarbeit", also die Verrichtung produktiver Tätigkeiten neben der Berufstätigkeit, existiert praktisch in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Spezifisch ländlich - obwohl auch in der Stadt vorkommend - sind Garten- und Feldbau, vor allem aber individuelle Tierproduktion. Für die nebenberufliche Agrarproduktion der Genossenschaftsbauern hat sich der Begriff individuelle Hauswirtschaft durchgesetzt. Er ist in mehreren Beziehungen nicht genügend aussagefähig. Den Greifswalder Sozialhygienikern um Prof. Huyoff folgend, können vier Kategorien individueller Agrarproduktion unterschieden werden: 1. Gartenbau, 2. Gartenbau zuzüglich Kleintierhaltung, 3. Schweinehaltung, 4. Rinderhaltung. Diese Unterscheidung ist u.E. von soziologischem Interesse, weil sie eine differenziertere Betrachtung gestattet, beispielsweise hinsichtlich des erzielbaren Einkommens sowie der Art und des Umfangs der jeweiligen Arbeitsbelastung. Individuelle Erzeugung agrarischer Produkte ist eine Ergänzung zur dominierenden sozialistischen Kollektiv- und staatlich organisierten Landwirtschaft und ist mit dieser auf vielfältige Weise verzahnt: durch Mastverträge, Futtermittelbereitstellung und individuelle (normalerweise vereinbarte) Nutzung genossenschaftlicher Produktionsmittel. Aus der Vielfalt der nebenberuflichen Beschäftigungen (Feierabendarbeiten) hebt sich die individuelle Erzeugung agrarischer Produkte (vor allem die individuelle Tierproduktion) primär durch zwei Merkmale heraus: Erstens handelt es sich hier um einen Produktionsprozeß mit einem naturbestimmten Arbeitsrhythmus. Um den agro- und zootechnischen Erfordernissen gerecht zu werden, müssen bestimmte Tätigkeiten kontinuierlich (täglich oder saisonal) verrichtet werden; Zweitens ist ihre Arbeitsorganisation in der Regel familienbezogen. Wie wichtig hier der Familienbezug ist, zeigen Ergebnisse der Längsschnittstudie zum Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten der Genossenschaftsbauern im Gemeindeverband Fäsekow/Grammendorf. Tabelle 5: Weibliche Betreiber einer individuellen Hauswirtschaft nach Familienstand und Art der Produktion (Stand 1983 in %) Art der Hauswirtschaft Verheiratet Alleinstehend +Lebensge- (geschieden, ver- meinschaft witwet, ledig) ------------------------------------------------------------- Gartenbau 10,9 32,7 Kleintierhaltung 17,3 28,8 Schweinehaltung 56,4 36,5 Rinderhaltug 12,4 2,0 Großviehhaltung = 71,8 = 38,5 Insbesondere die Bewältigung einer individuellen Großviehhaltung neben Berufstätigkeit und Hausarbeit erfordert Arbeitsteilung. Zu den "alleinstehenden Frauen" mit Großviehhaltung (ihr Anteil ist mit 38,5 % noch erstaunlich hoch) soll noch ergänzt werden, daß sie trotz dieser Kennzeichnung als "alleinstehend" durchaus in einem Mehrpersonenhaushalt mit anderen Erwachsenen, also u.E. voll einsetzbaren Arbeitskräften, leben können, die in der individuellen Hauswirtschaft "mit zupacken". Es ist davon auszugehen, daß in den meisten Fällen die schweren, aber nicht kontinuierlich anfallenden Tätigkeiten, wie Futtergewinnung, Futtertransport und Einlagerung, Stallentmistung, Tiertransport, Instandsetzungs- und -haltungsarbeiten vorwiegend von Männern verrichtet werden, Tätigkeiten, wie Futteraufbereitung, Füttern, Melken, Hegen und Pflegen sind in hohem Maße Angelegenheiten der Frauen. Doch selbst dort, wo die Hauptarbeit in der individuellen Tierproduktion vom Mann verrichtet wird, ist der Tagesablauf der Frauen diesem Rhythmus unterworfen, beginnt ihr Arbeitstag früher und endet später, als es ohne eigene Tierhaltung erforderlich wäre. Individuelle Tierproduktion als Komponente ländlicher Lebensweise ist optimal nur arbeitsteilig, kooperativ und also familienbezogen zu bewältigen. Sie beeinflußt den häuslichen Tagesrhythmus. Auch in dieser Hinsicht ist der Begriff "individuelle" Hauswirtschaft inadäquat. Die durchaus sehr schwierige Beantwortung der Frage, wie sich die Familienmitglieder in die häuslichen (einschließlich agrarischen) Arbeitsprozesse teilen, ist belangvoll für die gesellschaftliche Situation der betreffenden Frauen, denn in der Familie werden mit dem Arbeiten zugleich die Quantitäten außerhäuslicher Aktivität verteilt, werden die zeitlichen und kräftemäßigen Möglichkeiten zur Teilnahme am ökonomischen, politischen und geistig-kulturellen Leben von Genossenschaft und Gemeinde bestimmt. Der momentane Forschungsstand erlaubt jedoch nicht, hierzu empirisch gesicherte Aussagen zu treffen. 1.4. Das Einkommen der berufstätigen Mütter Ein eigenes Einkommen der Produzenten gab es in der Familienproduktion der Einzelbauern im eigentlichen Sinne nicht,, nur eine Verfügung des Familienvorstands über die Verteilung und Anwendung des gemeinsamen Produkts. Eine wirkliche Selbständigkeit des individuellen Einkommens gab es im wesentlichen auch dort nicht, wo feudal versetzte Lohnverhältnisse (Tagelöhnerei, saisonale Beschäftigung auf Gütern u.ä.) herrschten, denn die Kargheit dieser Einkünfte hat sie von Anfang an vollständig unter die Familieninteressen subsummiert, denn es handelte sich um nicht mehr als Subsistenzmittel, so daß es keinen nennenswerten persönlichen Verwendungsspielraum geben konnte. In der vergesellschafteten Agrarproduktion und der in ihr durchgeführten außerhäuslichen Berufstätigkeit von Mann und Frau wird das individuelle Einkommen durch individuelle Leistung im Rahmen der Genossenschaft oder des volkseigenen Betriebes erworben. Da es das Niveau der reinen Subsistenz quantitativ überschreitet, gibt es Verfügungsspielräume, vor allem aber - im Rahmen der juristischen Gleichstellung beider Geschlechter und des sozialpolitischen Schutzes der Rechte der Frau - eine ökonomische Selbstbestimmung für sie. Ohne diese ökonomische Selbstbestimmung auf der Basis des eigenen Einkommens müßte die Gleichberechtigung formal bleiben. Auch für ihre Position innerhalb der Familien ist dieses eigene Einkommen von Belang, indem es eine gleichwertige Partnerschaft materiell fundiert. Die Höhe des Einkommens wird von der Leistung, aber auch der Position im gesellschaftlichen Produktionsprozeß bestimmt, und diese Position bestimmt sich bei den Frauen im Kontext mit ihrer familialen Situation und Lebensgestaltung. Beispielsweise ist es eine einkommensrelevante Positionsverteilung, wenn in der unmittelbaren Pflanzenproduktion des Kreises Pasewalk 81 % der Männer, aber nur 7 % der Frauen Technik bedienen. Das Einkommen der Frau ist ein fest eingeplanter Posten im Budget der Familien der Genossenschaftsbauern. Die ALB 84 spiegelt das in folgender Weise wider. Die Stichprobe männlicher Probanden kann nur unter Vorbehalt gesondert ausgewiesen werden, jedoch sind die Abweichungen in den Auffassungen zwischen Frauen und Männern durchaus erklärliche, interessante Gegebenheiten. In ihrer Relevanz waren folgende Aussagen zu bewerten: 1. Wir brauchen dieses Einkommen zur Sicherung unseres täglichen Bedürfnisse! 2. Wir brauchen es, damit wir uns etwas anschaffen können! 3. Es ist nur eine Aufbesserung unserer finanziellen Verhältnisse! 4. Wir könnten auch ohne dieses Einkommen gut leben! 5. Die Frau arbeitet, weil es ihr Spaß macht; das Einkommen ist dabei nicht so wichtig. 6. Es sichert ihr die ökonomische Unabhängigkeit! Kontradiktorisch aussagende Probanden wurden in der Auszählung eliminiert (Kontradiktionen traten auf zwischen 1. und 2. einerseits und 3. und 4. andererseits). Tabelle 6: Aussage Geschlecht trifft trifft trifft Gesamt- zu teilweise nicht zahl der zu zu Aussagen (N) ------------------------------------------------------------- 1. 1. gesamt 70,1 22,6 7,3 137,0 weibl. 74,5 20,9 4,5 110,0 männl. 51,9 29,6 18,5 27,0 2. gesamt 73,4 25,3 1,3 158,0 weibl. 70,1 28,2 1,7 117,0 männl. 82,9 17,1 - 41,0 3. gesamt 25,9 30,6 43,5 108,0 weibl. 11,9 34,5 53,6 84,0 männl. 75,0 16,7 8,3 24,0 4. gesamt 2,4 17,5 80,2 126,0 weibl. 3,1 18,4 78,6 98,0 männl. - 14,3 85,7 28,0 5. gesamt 4,8 36,8 58,4 125,0 weibl. 5,2 37,1 57,7 97,0 männl. 3,6 35,7 60,7 28,0 6. gesamt 41,0 27,0 32,0 122,0 weibl. 47,4 28,4 4,2 95,0 männl. 3,6 35,7 60,7 27,0 Im Einzelnen scheinen uns folgende Ergebnisse hervorhebenswert: 1. Am deutlichsten äußern sich die Probanden zur Bedeutung des Einkommens der Frau für die Sicherung täglicher Bedürfnisse und zusätzlicher Anschaffungen. Nennenswerte Abweichungen in den Ansichten zwischen männlichen und weiblichen Probanden zeigen sich in der Bedeutung des Einkommens der Frau für die Sicherung der täglichen Bedürfnisse. Die Männer ermessen die Bedeutung wahrscheinlich dort nicht im vollen Umfang, wo sie mit den Finanzoperationen des Einkaufs von Waren des täglichen Bedarfs weniger zu tun haben. 2. Die großen Bewertungsunterschiede hinsichtlich der Frage, ob das Einkommen der Frau nur eine Aufbesserung der finanziellen Verhältnisse sei, weisen darauf hin, daß Männer noch eher dahin tendieren, daß Frauen die Berufstätigkeit aufgeben sollten, soweit das Einkommen des Mannes dies erlaubt. 3. Der Eigenwert der Berufstätigkeit unabhängig vom Einkommen wird von der Mehrheit der Probanden verneint. Freilich kann die Haltung zur Berufstätigkeit nur bedingt aus Sicht des Einkommens erfragt werden. 4. Besonders die Einschätzung der Bedeutung des Einkommens der Frau für ihre ökonomische Unabhängigkeit verlangt eine Reflexion der eigenen Verhältnisse, was für unsere Probanden durchaus nicht selbstverständlich ist. Doch gerade hier werden geschlechtsspezifische Einschätzungen sichtbar. Die Frauen sehen diese Bedeutung ihres Einkommens weit klarer als die Männer. Was auf der Ebene des gesellschaftlichen Produktionsprozesses der Vergleich zwischen Individuen beider Geschlechter ist, stellt sich im Familienrahmen als Anteil von Mann und Frau an der Erwirtschaftung des gemeinsamen Einkommens dar. Um sich hier ein Bild verschaffen zu können, muß die Kenngröße "Anteil der Frau am Eheeinkommen" gebildet werden. In der Einkommensstatistik wird aber üblicherweise das Haushaltseinkommen erfaßt, in das die Einkünfte aller erwachsenen Haushaltsmitglieder einfließen. 1.5. Die Berufstätigkeit der Mütter in ihrer immateriellen Bedeutung Die Berufstätigkeit der Frau bereichert das Familienleben nicht nur durch ihren Beitrag zur materiellen Basis von Haushalt und Familienleben. Gerade aus der beruflich bedingten Kommunikation ergibt sich eine familienrelevante Horizonterweiterung. Bereichert wird die Bedürfnisstruktur durch Möglichkeiten des Vergleichs. Aus Gesprächen mit den Kollegen werden Anregungen für die eigene Lebensgestaltung bezogen. Nicht zuletzt entwickeln sich in diesem offenen Raum Ansprüche an die Partnerschaft. Auch für die Erziehung der eigenen Kinder ist der Meinungs- und Erfahrungsaustausch, ist der Konsultativraum Arbeitskollektiv in der DDR von hoch- rangiger Bedeutung. In den nachfolgend dargestellten Aussagen der genossenschaftsbäuerlichen Probanden in der ALB 84 schlagen sich diese Zusammenhänge nicht im erwarteten Maße positiv nieder. Gründe dafür sind u.E. in drei Richtungen zu suchen: 1. werden die positiven Wirkungen beruflicher und gesell- schaftlicher Aktivität auf die eigene Familie überlagert von tätigkeitsbedingtem Zeitmangel, durch Abgespanntheit und eigene Erholungsbedürftigkeit; 2. kommen nicht alle Wirkzusammenhänge unseres Tuns auch im vollen Maße zu Bewußtsein und 3. gehen vom beruflichen und gesellschaftlichen Alltag der Mehrheit wohl noch nicht in wünschenswertem Maße diese persönlich und familial anregenden Wirkungen aus. Zwei Behauptungen waren zu bewerten: 1. "Eine Frau, die eine Tätigkeit ausübt, in der sie ihre Qualifikation voll nutzt, kann die Entwicklung ihrer Kinder besser fördern!" 2. "Eine Frau, die gesellschaftlich aktiv ist, kann besser zur allseitigen Entwicklung ihrer Kinder beitragen!" Die Ergebnisse zeigen folgendes Bild: Aussage zutreffend teilweise nicht N "ich weiß zutreff. zutreff. nicht" -------------------------------------------------------------- 1. 35,1 43,0 17,9 151,0 4,0 2. 35,3 40,7 18,7 150,0 5,3 2. Die Frau in der ländlichen Familie Die Familie ist die elementare Organisationsform der Beziehungen zwischen den Generationen und Geschlechtern. Ihre Kernbeziehung ist die zwischen Eltern und Kindern. In ihrem Inhalt und ihren Funktionen differenziert und zugleich komplementär sind die Rollen der Väter und der Mütter. Die innerfamiliäre Positions- und Funktionsverteilung steht in bestimmter Wechselbeziehung mit den gesellschaftlichen (beruflichen, politischen, kulturellen) Entfaltungsmöglichkeiten der Frauen. Die Betrachtung von Struktur und Genese der Familienbeziehungen unter den bestimmten räumlich-zeitlichen Bedingungen der ländlichen Territorien im Norden der DDR ist daher ein wichtiges Element der Bestimmung der gesellschaftlichen Situation von Frauen. 2.1. Äußere Struktur der Familie Unter äußerer Struktur der Familie verstehen wir deren Größe, demographische Gliederung und Außenbeziehungen (Verwandtschaftssystem, Nachbarschaft, Freundschaften). 2.1.1. Ein- und Zwei-Elternteils-Familien Mit der Befreiung der Familie aus dem ökonomischen Kalkül der privaten Warenproduktion, der juristischen Gleichberechtigung beider Geschlechter, der Berufstätigkeit von Mann und Frau, dem gesellschaftlichen Mutter-, Kinder- und Jugendschutz als Elementen allgemeiner sozialer Sicherheit fallen äußere Zwänge weg, so daß Liebe und gegenseitige Achtung im wesentlichen die tragenden Faktoren bleiben, die eine Partnerschaftsbeziehung konstituieren. Wo diese Basis endet, endet im allgemeinen auch die Partnerschaft. Die Auflösung disharmonischer Bindungen und das Eingehen neuer Partnerschaften gehören zu den gesicherten Individualrechten; die Gesellschaft hat dabei ein Mitspracherecht, vor allem zum Schutze der Interessen der juristisch minderjährigen Kinder. Vor allem unter diesem Gesichtspunkt ist die Gesellschaft an stabilen Partnerschaften interessiert, dieses Interesse ist aber kein formales, sondern ein inhaltliches, bezieht sich also nicht auf Partnerschaften, die ihren Sinn verloren oder gar ins Gegenteil verkehrt haben. Betrachten wir das Familiengeschehen (Eheschließungen, Ehescheidungen, Geburten) unter territorialem Gesichtspunkt, so zeigen sich doch recht gravierende Unterschiede. Besonders deutlich wird das, wenn wir die Territorien herausgreifen, die administrativ in Stadt- und Landkreis geteilt sind. Tabelle 7: Eheschließungen, Ehescheidungen und Lebendgeborene je 10 000 Einwohner im Vergleich der Stadt- und Landkreise des Bezirkes Rostock im Jahre 1988 (Berechnet nach Unterlagen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik) ------------------------------------------------------------- Kreis Eheschließungen Ehescheidungen Lebendgeborene Stadt Land Stadt Land Stadt Land ------------------------------------------------------------- Rostock 94,7 50,1 34,1 23,9 136,1 154,7 Stralsund 102,9 78,8 34,6 19,3 128,2 224,4 Greifswald 84,8 66,1 36,5 28,4 135,8 148,6 Wismar 128,2 - 30,2 20,2 131,5 152,5 Gesamt 94,1 30,9 139,9 Auffällig ist, daß nicht nur die Zahl der Ehescheidungen, sondern etwa im gleichen Verhältnis auch die der Eheschließungen in den Landkreisen niedriger liegt als in den Städten; in umgekehrter Proportion zeigt sich das Stadt-Land-Verhältnis bezüglich der Lebendgeborenen je 10 000 Einwohner. Obwohl die Zahlen, insbesondere bei den Eheschließungen je 10 000 Einwohner, stark differieren, ist die Grundaussage der Relationen in allen Territorien die gleiche. Ein-Elternteils-Familien gehen hervor aus Scheidungen und Verwitwung, aber auch aus dem Willen lediger Mütter, vorübergehend oder auf Dauer ohne Partner zu leben. Die tatsächliche Zahl der Ein-Elternteils-Familien ist kaum zu ermitteln. Das sicher aufschlußreichste Material liefert eine repräsentative Erhebung des Instituts für Sozialhygiene der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock, wobei vom 10.2.1984 bis 15.2.1985 in den Frauenkliniken Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Schwedt, Teterow, Pritzwalk, Kyritz, Güstrow, Lübz, Parchim, Bergen, Seehausen (Altmark), Demmin, Malchin, Pasewalk und Wolgast 12 399 Wöchnerinnen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren erfaßt wurden. Von ihnen waren 32,3 % ledig, 63,8 % verheiratet, 3,7 % geschieden und 0,2 % verwitwet. "34,1 % der Unverheirateten, zu denen Ledige, Geschiedene und Verwitwete gezählt wurden, lebten in einer Partnerschaft, die sie selbst als Lebensgemeinschaft bezeichneten. Die Form der Gemeinschaft, gemeinsame Wohnung, Eheleben ohne Trauschein und ohne juristische Absicherung oder lockere Bindung mit gemeinsamer Interessenbefriedigung und gemeinsamer Aufzucht von Kindern wurde dabei nicht berücksicht. Insgesamt waren es 23,5 % aller befragten Wöchnerinnen." Diese Kategorie dürfte sich mit einer anderen überlagern: 26,9% der Wöchnerinnen, der Frauen, die im Untersuchungszeitraum also faktisch eine eigene Familie gründeten, lebten noch mit ihren eigenen Eltern. Eine Unschärfe, die quantitativ freilich weit weniger ins Gewicht fällt, ergibt sich daraus, daß es unter den Frauen, die formell in einer Partnerschaft leben, auch solche gibt, die wegen beruflicher oder anderweitig bedingter langfristiger Abwesenheit des Partners faktisch allein erziehend sind. Alles in allem aber berechtigt uns das vorhandene Material zu der Annahme, daß ungefähr 10 % der Familien Ein-Elternteils-Familien im praktischen Sinne dieses Wortes sind. Eine territoriale Differenzierung des Bildes ist im Augenblick nicht möglich. Von den in der ALB 84 befragten Beschäftigten der Landwirtschaft lebten 94,8 % in Partnerschaft, ledig waren 8,6 %, verheiratet 84,3 %, geschieden 4,8 % und verwitwet 2,4 % der 210 Probanden. Von den 15,7 % der juristisch Alleinstehenden machten etwa 1/4 Angaben, die den Schluß zulassen, daß sie in Lebensgemeinschaft leben. Daß diese Befragung ein von den o.g. Daten abweichendes Ergebnis liefert, hängt sicher vor allem damit zusammen, daß der sozialstrukturelle Schnitt hier anders geführt wurde, vor allem ist die Altersstruktur der Probanden eine andere. Ob Väter und Mütter gemeinsam leben und erziehen oder nicht, fällt in die Belange ihrer persönlichen Entscheidung. Durch unsere Sozialpolitik wird der familienrechtliche Grundsatz der Nichtdiskriminierung alleinerziehender Mütter und nichtehelicher Kinder materiell und moralisch abgesichert. Die Gesellschaft ist sich dennoch mit der Mehrheit ihrer Individuen darin einig, daß eine Familie, in der die Belastungen und Freuden nicht geteilt werden können, in der die Kinder nur eine erwachsene Bezugsperson haben, im Prinzip nicht optimal ist. Einen gewissen Einfluß auf das soziale Klima unserer Dörfer mag noch immer, wenn auch in abnehmender Bedeutung, die Tatsache haben, daß Ein-Elternteilsfamilie und einzelbäuerliche Produktionsweise im Prinzip unvereinbar waren. Insbesondere die alleinerziehende Mutter hat es im traditonellen Bewußtsein der Dörfer schwer, eine geachtete Stellung einzunehmen. Hier ist es beinahe unmöglich, sich in die soziale Anonymität zurückzuziehen, wie das das städtische Leben zuläßt. Doch die ökonomischen, politischen und juristischen Bedingungen gestatten es den Frauen jetzt grundsätzlich, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen einzurichten, und sie setzen diesen Anspruch auch immer selbstbewußter durch, womit neue Realitäten und auch neue Einstellungen Raum greifen. 2.1.2. Die Anzahl der Kinder Für die Organisation des Familienlebens ist neben den erwachsenen Familienmitgliedern auch die Anzahl ihrer Kinder ausschlaggebend. Traditionell war ländlicher Reichtum unlösbar verbunden mit Kinderreichtum. Jetzt können wir davon ausgehen, daß die Zwei-Kinder-Familie in Stadt und Land zum vorherrschenden Element geworden ist. Während die Gesellschaft demografische, pädagogische und kulturelle Gründe hat, die 2-3-Kinder-Familie zu favorisieren, tendieren die Individuen zur 2-1-Kind-Familie. In welchem Maße wirkt hier noch der Einfluß ländlicher Traditionen differenzierend? Ein Vergleich der Fruchtbarkeitsziffern zwischen den Bezirken der DDR, wie er jährlich im "Statistischen Jahrbuch" veröffentlicht wird, zeigt generell eine leicht höhere Fruchtbarkeitsziffer in den stärker agrarisch geprägten Bezirken. Doch die Unterschiede sind nicht sehr erheblich. Eine höhere Lebendgeborenen-rate sahen wir auch im Vergleich der Stadt- und Landkreise im vorangegangenen Abschnitt. Das ist erfreulich, zeigt es doch die gewachsene Wirksamkeit der familienbezogenen Sozialpolitik auch auf dem Lande. Daß diese Unterschiede etwas mit schichtspezifischen Lebensvorstellungen zu tun haben, zeigt die Relation zwischen Berufsgruppen und durchschnittlicher Kinderzahl der Rostocker Erhebung, die hier ausschnittsweise wiedergegeben werden soll, wobei es uns auf den Vergleich zwischen typisch ländlichen und typisch urbanen Berufen ankommt. Der Unterschied zwischen Industriearbeiterinnen und Arbeiterinnen der Landwirtschaft (1,5 zu 1,8 Kinder im Durchschnitt) ist bemerkenswert. Zu bedenken ist, daß sich gerade Situation und Einstellungen mit der sozialistischen Umgestaltung des ländlichen Lebens und Arbeitens dynamisch gewandelt haben, und dieser Prozeß durchaus noch nicht abgeschlossen ist. Grundsätzlich folgt die Familienentwicklung auf dem Land dem selben Trend wie in der Stadt, nur in zeitlicher Verzögerung und leichter Modifikation. Die Modifikation liegt begründet sowohl in den Bedürfnisstrukturen als auch in den Lebensbedingungen, einschließlich Umweltfaktorn. Der gegebene territoriale Unterschied wird im unmittelbaren Stadt-Land-Vergleich sichtbar. Tabelle 8: Beruf und durchschn. Kinderzahl der Wöchnerinnen aus 15 Frauenkliniken des Nordens der DDR ------------------------------------------------------------- Beruf Durchschnittl. Anzahl der Kinderzahl Probanden ------------------------------------------------------------- nicht berufstätig 2,4 272 Tierzüchter, Zootechniker 1,8 656 Facharbeiter (Land) 1,8 463 Pädagogen 1,7 1380 Angestellte Verwaltung 1,6 3231 Verkäuferinnen 1,6 907 Mittl. med. Personal 1,5 839 Facharbeiter (Industrie) 1,5 2193 Kellnerin 1,4 355 Friseur, Kosmetiker 1,4 156 Arzt 1,3 75 Tabelle 9: Vollberufstätige Mütter im Stadt-Land-Vergleich (Kreis Greifswald 1988) nach der Anzahl ihrer Kinder ------------------------------------------------------ Mütter mit in Stadt Land 1 49,6 41,2 2 43,6 47,5 3 und mehr 6,8 10,4 Durchschnittlich 1,6 1,8 Kindern --------------- Bei der Berechnung der durchschnittlichen Kinderzahl wurde, entsprechend der von Meyer dargestellten Paritätsverteilung, ermittelt, daß die tatsächliche Kinderzahl annähernd widergespiegelt wird, wenn zu den "3 und mehr Kindern" ein Drittel addiert wird. Durchschnittliche Kinderzahl errechnet sich hier also wie folgt: Mütter mit einem Kind + [Mütter mit zwei Kindern mal zwei] + [Mütter mit drei Kindern mal vier. Erläuterung: Aus Tabelle 2, S. 12 bei Meyer, a.a.O., ergibt sich folgende Verteilung der 12 420 Mütter auf die Paritäten 1-6: 49,6; 38,2; 9,2; 2,2; 0,6; 0,2 %. 3 und mehr Kinder haben also 12,2 % der Mütter. Nehmen wir die Zahl der Kinder, die in diesen 12,2 % aller Familien leben, so entfallen von ihnen 67,7 % auf 3-Kind-, 21,6 % auf 4-Kind-, 7,5 % auf 5- Kind- und 3,1 % auf 6-Kind-Familien (höhere Ordnungszahlen können hier vernachlässigt werden). Daher ist die Zahl der Kinder, die in der Kategorie "3 und mehr Kinder" erfaßt sind, um 32,3 % zu erhöhen, was auf ein Drittel gerundet werden kann (um auch die Ordnungszahlparität <6 zu berücksichtigen), so daß die Zahl der Mütter mit 3 und mehr Kindern nicht mit 3, sondern mit 4 multipliziert wird. 1985 betrug der Anteil der vollberufstätigen Mütter mit 3 und mehr Kindern in der Stadt noch 7,4 und im Landkreis Greifswald noch 11,4 %. Der Trend ist in beiden Bereichen gleich. Für die innere Struktur der Familie ist weiterhin der Altersabstand zwischen den Kindern bedeutsam. Gehen wir vom Zeitpunkt der Geburt aus, werden folgende durchschnittliche Abstände sichtbar. Der genannten Erhebung von 1984-1985 zufolge beträgt das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes 21,4, bei der der zweiten Kindes 25,1 und des dritten Kindes 27,8 Jahre. Das ergibt durchschnittliche Abstände von 3,7 vom ersten zum zweiten, 2,7 vom zweiten zum dritten und 6,4 Jahre vom ersten zum dritten Kind. 2.1.3. Das Beziehungsumfeld der Kernfamilie Zu den Ergebnissen der Entwicklung der letzten Jahrzehnte gehört zweifellos die Auflösung der ländlichen Großhaushalte, die aus drei und vier Generationen, Kindern, Eltern, Großeltern nebst ledigen und verwitweten Geschwistern, anderen Seitenverwandten, aber auch rechtlich nicht zur Familie gerechneten Personen (Gesinde) bestanden. Die Tendenz des "Auseinanderrückens" der Generationen, wobei sich der Haushalt der Kernfamilie räumlich und organisatorisch verselbständigt, ohne daß die räumliche Nähe zu Großeltern und anderen Verwandten unbedingt verloren gehen muß, wird international beobachtet. Der Großhaushalt ist funktional vor allem nach zwei Seiten hin vorteilhaft gewesen: Die landwirtschaftliche Betriebsorganisation war auf eine größere Personenzahl, die in einem gemeinsamen Haushalt lebte und arbeitete, optimiert und alle Fragen sozialer Sicherung des Individuums, die heute weitgehend gesellschaftlich gelöst sind, verlangten die Einbindung des Einzelnen in diesen familiären Rückhalt. Mit der sozialistischen Umgestaltung ländlichen Lebens und Produzierens sind beide Gesichtspunkte so nicht mehr gegeben. Im allgemeinen besteht das Bedürfnis, die Verselbständigung des Haushalts der Eltern-Kind-Familie so durchzuführen, daß keine allzu große räumliche Distanz entsteht, denn Kernfamilie und Großelterngeneration bedürfen einander nach wie vor wechselseitig: Die Kernfamilien nehmen gern die Hilfe der Großeltern in Anspruch bei der Kinderbetreuung, verschiedenen Haushaltsangelegenheiten (Einkauf, Speisenzubereitung, Instandhaltung u.a.) sowie beim Betreiben der individuellen Garten- und Tierproduktion. Die Großeltern rechnen ihrerseits auf Unterstützung der nachfolgenden Generationen in Alter und Krankheit. Gerade dieses Moment familialer Verantwortung sollte wieder stärker entwickelt werden. Weiträumige Migration der Kinder aus beruflichen und anderen Gründen ist auch für jene Angehörigen der Elterngeneration perspektivisch ungünstig, die solche Bewegungen ausdrücklich fördern, weil es "die Kinder besser haben sollen", als sie selbst es hatten. Wo ein "Ungenügen" an den gegebenen Arbeits- und Lebensbedingungen lediglich in Migration der Betroffenen mündet, ist Unzufriedenheit nicht produktiv umgesetzt. Das räumliche und organisatorische Auseinanderrücken der Generationen vollzieht sich dort weniger gravierend, wo sich Bauernhäuser im Familienbesitz befinden, die groß genug sind, von mehreren Haushalten bewohnt zu werden. Neben dem verwandtschaftlichen Beziehungsgefüge spielt auf dem Lande noch immer die Nachbarschaftshilfe eine ausgeprägtere Rolle als in der Stadt. Durch die Solidarbeziehungen auf verwandtschaftlicher und nachbarschaftlicher Basis ist eine gemeinschaftliche Absicherung für verschiedene Leistungsausfälle gegeben. Gleichzeitig entsteht und reproduziert sich damit der spezifisch ländliche Kommunikationsraum, einschließlich seiner kulturellen Spezifika. 2.2. Der Familienzyklus Der Familienzyklus ist die Biographie der Familie. Die Familie durchläuft eine Entwicklung, die mit der Geburt des ersten Kindes beginnt und mit dem Heraustreten des letzten Kindes aus dessen Herkunftsfamilie endet, wobei die Kinder dann selbst wieder eigene Kernfamilien gründen. Individuen, aber auch Paare durchlaufen also, grob gesehen, eine vorfamiliale, eine familiale und eine nachfamiliale Entwicklung. Die Partnerbindung (Lebensgemeinschaft, Ehe) spielt zwar für Struktur und Funktionieren der Familie eine erhebliche Rolle, nicht aber eine konstituierende. Die Familienentwicklung in diesem soziologischen Sinne beginnt also nicht mit der Eheschließung und "Zusammenschreibung" der Partner, sondern mit der Geburt des ersten Kindes. Durch die Möglichkeiten der Familienplanung, die sich den Stadt- und Landbewohnern insbesondere seit Mitte der 60er Jahre breit eröffnet haben, ist ein hohes Maß bewußter Lebenszeitgestaltung möglich geworden. Die sozialpolitisch gesicherte materielle, juristische und ökonomische Lage gestattet es den Frauen in der DDR insgesamt, die Frühphase des Familienzyklus, in der Kleinkinder vorhanden sind, auf einem, auch historisch und international gesehen, recht kurzem Abschnitt des eigenen Lebens zu konzentrieren. Tabelle 10: Altersstruktur und Kinderzahl der Wöchnerinnen in 15 Frauenkliniken des Nordens der DDR zwischen dem 15. 2. 1984 und dem 15. 2. 1985 ------------------------------------------------------------- Alter Mütter mit Kindern N Anteil 1 2 3 4 5 6 in % ------------------------------------------------------------ 15-16 58 - - - - - 58 0,47 17-18 598 22 - - - - 620 5,00 19-20 2019 236 12 - - - 2276 18.28 21-22 1803 869 52 9 - - 2733 22,04 23-24 943 1228 170 29 4 1 2375 19,15 25-26 370 1109 220 46 7 2 1754 14,14 27-28 184 635 238 49 14 7 1106 8,02 29-30 87 364 186 52 8 4 701 5,65 31-32 55 172 116 45 16 5 409 3,02 33-34 23 71 84 16 10 4 208 1,67 35-36 10 28 36 15 7 2 98 0,79 37-38 4 4 17 5 6 1 37 0,30 39-40 4 5 5 5 2 - 21 0,17 41-42 2 2 3 1 1 - 9 0,07 43-44 - - 1 1 1 - 3 0,02 Durchsch.- Alter 21,4 25,1 27,8 28,9 31,9 34,2 12399 Aus dieser Übersicht ergibt sich, daß nur 6,22 % der Gebärenden älter als 30 Jahre sind. Das bedeutet, daß der Familienzyklus bei etwa 95 % der Frauen mindestens mit ihrem 50. Lebensjahr abgeschlossen sein wird. Das Vereinbarkeitsproblem von Berufstätigkeit und Mutterschaft entspannt sich schon erheblich früher - für fast 80 % der Mütter vor Vollendung des 35. Lebensjahres, wenn wir die betreuungsintensive Zeit bis zum 10. Lebensjahr des Kindes rechnen (bei 79,9 % der Geburten waren die Mütter 26 und weniger Jahre alt). Festzuhalten ist jedoch auch, daß die frühfamiliale Phase in den persönlichen Lebensabschnitt fällt, in welchem die Weichen für die berufliche Entwicklung gestellt und die größten Qualifikationsleistungen vollbracht werden. 2.3. Innere Struktur der Familie Mit der inneren Struktur der Familie werden Charakter und Inhalt der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern, die Verteilung der Aufgaben, Befugnisse, Verantwortlichkeiten zwischen ihnen umrissen. Die Grundtypen der inneren Struktur sind die autoritäre (patriarchalische bzw. matriarchatische) und die partnerschaftliche Familie. Nachfolgend soll versucht werden zu belegen, inwieweit auch in den Familien der Genossenschaftsbauern und anderer Bewohner der agrarisch strukturierten Territorien das Moment der Partnerschaftlichkeit ausgeprägt ist. Dabei können wir uns auf die Aussagen der ALB 84 stützen. 2.3.1. Entscheidungsfindung und Verantwortlichkeiten in der Familie Gefragt wurde in der ALB 84, "Wer trifft im allgemeinen die Entscheidungen in folgenden Familienangelegenheiten?" Hier die Ergebnisse: Tabelle 11: Ressort vorwiegend die Frau der Mann beide zus. N -------------------------------------------------------------- Haushaltsführung 43,1 0,0 56,9 202 Kindererziehung 26,6 0,0 73,4 203 größere finan- zielle Ausgaben 5,9 4,9 89,2 204 Freizeitgestaltung 8,9 3,5 87,6 202 Die Positionsverteilung im familiären Entscheidungsprozeß ist demnach als kompetenzabhängig erkennbar. Am klarsten sind die Kompetenzen geschlechtsrollenspezifisch verteilt bei den Angelegenheiten von Haushalt und Kinderziehung. Es ist nochmals zu betonen, daß die Probanden dieser Befragung aus dem Bereich Landwirtschaft kamen. Ein Vergleich mit Ergebnissen aus anderen Einziehungsbereichen wäre sehr interessant. Aussagen dazu können erst getroffen werden, wenn uns die Daten des Gesamtsampels, das bei der Akademie der Wissenschaften erfaßt wurde, zugänglich ist. Ein bedingt vergleichbares Material liefert die Medizinisch- soziologische Befragung von 1800 Frauen in drei Berliner Stadtbezirken, die 1977 durchgeführt und 1985 vorgelegt wurde. Dynen und Sroca schreiben: "Wir konnten feststellen, daß der überwiegende Teil der Ehen eine partnerschaftlich orientierte Haushaltsführung hat (51,8 %). Bei 43,61 % ist die Haushaltsführung weiblich orientiert und 5,11 % männlich orientiert. Nur bei 39,67 % der Unterbrechenden konnte eine partnerschaftliche Haushaltsführung ermittelt werden im Vergleich zu 56,11 % der Austragenden bzw. 59 % der Nichtschwangeren." Hervorgehoben werden soll hier, daß von uns das Phänomen der "männlich orientierten Haushaltsführung" nicht gefunden werden konnte. Wahrscheinlich kann es sich unter ländlichen Bedingungen auch weit weniger herausbilden als unter urbanen Umständen. 2.3.2. Arbeitsverteilung unter zeitlichem Aspekt Nach der Verteilung der zeitlichen Aufwendungen wurde in der ALB 84 gefragt bezüglich a) Hausarbeit b) Beschäftigung mit den Kindern c) Freizeit. Folgende Skalierung war vorgegeben: Im allgemeinen 1. Männer viel mehr 2. Männer etwas mehr 3. Männer und Frauen annähernd gleich 4. Frauen etwas mehr 5. Frauen viel mehr. Ressort Skalierung N 1 2 3 4 5 ------------------------------------------------------------ Hausarbeit 0,5 1,0 9,8 33,0 55,7 194 Kinder 0,5 2,0 22,3 48,7 26,4 197 Freizeit 19,8 49,5 25,0 5,2 0,5 192 Jegliche Aussagen über innerfamiliäre Zeitverteilungen sind mit äußerster Vorsicht zu betrachten. 1. Das Familienleben vollzieht sich im intimen Lebensbereich, so daß Aussagen fast ausschließlich über Befragungen zu erhalten sind, die natürlich subjektiv und nicht frei von Selbsttäuschungen sein können. (Arbeitsmedizinisch fundierte speichertelemetrische Untersuchungen sind erst am Anfang, haben aber schon deutlich gemacht, daß der tatsächliche Kraft- und Zeitaufwand von den Individuen nicht real eingeschätzt wird). 2. Der innerfamiliären Zeit wohnt eine spezifische Unschärfe inne: Äußerst variabel ist die Intensität in häuslichen und fürsorglichen Beschäftigungen, und fließend sind die Übergänge, sowohl von einer Beschäftigung zur anderen, wie zwischen zielgerichteter Tätigkeit und ungebundener Muße. 3. Freizeit ist ein im täglichen Wortgebrauch unklarer Begriff. Wir verstehen unter Freizeit jenen Teil der individuellen Lebenszeit, der vor allem für die passive und aktive Erholung (einschließlich Hobbypflege), aber auch für Bildung und Qualifikation verfügbar ist. Wer mehr Zeit für Haushalt und Kinder einsetzt, muß nicht zwangsläufig weniger Freizeit haben als sein Partner. Bei den ländlichen Familien ist eine ganze Reihe von Tätigkeiten, die nicht unmittelbar zu Haushalt und Elternschaft zuzuordnen sind, aber trotzdem keine Freizeit im engeren Sinne darstellen, von den Männern zu verrichten: individuelle Agrarproduktion, Bau und Instandhaltung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, Bewirtschaftung des Grundstücks, selbst die Autopflege hat hier Aspekte der Lebensnotwendigkeit. All diese Aspekte sind in den Mann-Frau-Vergleich einzubeziehen. Mit all diesen Einschränkungen muß natürlich konstatiert werden, daß unsere Probanden durchaus einen Zusammenhang zwischen der Verteilung der familiären Pflichten und der Freizeit sehen. Obwohl es der folgenden Übersicht an Signifikanz mangelt, wird hier doch besonders augenfällig, daß Frauen die Situation weit kritischer sehen als die Männer. Tabelle 12: Verteilung der innerfamiliären Zeitaufwendungen, getrennt ausgewiesen nach weiblichen und männlichen Probanden (Skalierung wie oben) ------------------------------------------------------------- Skala Haushalt Kinder Freizeit wbl. männl. wbl. männl. wbl. männl. Probanden Probanden Probanden ------------------------------------------------------------ 1 0,0 2,0 0,7 0,0 23,8 8,2 2 0,7 2,0 2,0 2,0 52,4 40,8 3 9,0 12,2 20,3 28,6 20,3 38,8 4 26,9 41,0 47,3 53,1 2,8 12,2 5 63,4 32,7 29,7 16,3 0,7 0,0 N 145 49 148 49 143 49 2.3.3. Zur familialen Disposition weiblicher Persönlichkeitsentwicklung Der Zusammenhang der inneren Struktur der Familie mit den Möglichkeiten der Frauen, ihre Persönlichkeit vielseitig zu entfalten, hat mehrere Aspekte, die differenziert zu betrachten sind. 1. Das Zeitbudget im Ganzen. Da der persönliche Zeit- und Kraftfond begrenzt ist, beschränken sich die verschiedenen Tätigkeiten wechselseitig. Das spiegelt sich in der oben stehenden Tabelle als reziproke Verteilung der Freizeit einerseits und der Hausarbeit und Kinderbetreuung andererseits wider. Eine geschlechtsstereotype Rollenverteilung in der Familie muß die außerfamiliären Aktionsräume der Frau schon quantitativ beschränken, sobald die beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen, die an sie gestellt werden, über die Normalarbeitszeit hinausgreifen. Das ist bei der überwältigenden Mehrheit der in der ALB 84 befragten Probanden aus dem Bereich Landwirtschaft nicht der Fall. So erklärt es sich, daß nur 12,7 % von ihnen meinten, im allgemeinen habe in der Familie die Qualifikation des Mannes Vorrang. Hier fallen jedoch wieder die schon bei anderer Gelegenheit bemerkten geschlechtsspezifischen Abweichungen der subjektiven Widerspiegelung der Verhältnisse auf: der familäre Qualifikationsvorrang der Männer wurde von 16.8 % der weiblichen, aber nur 2,2 % der männlichen Probanden konstatiert. 3,6 % meinten auch, daß die Qualifikation der Frau in ihrer Familie Vorrang habe. Es handelte sich dabei um Paare, bei denen die Frau eine qualifikationsabhängigere Tätigkeit ausübte: sie Ausbilder für Polytechnik, er Schweinezüchter; sie Buchhalterin, er Schlosser bzw. Maurer. 2. Arbeitsinhalt der Hausarbeit. Hausarbeit trägt im wesentlichen regenerativen Charakter, bewegt sich im Kreis. In ihr dominieren stets wiederkehrende Verrichtungen mit sehr vergänglichen Resultaten: das gereinigte Geschirr, die gewaschene Wäsche, die geputzten Fußböden, entstaubten Möbel werden bei neuer Benutzung wieder verunreinigt, das aufwendig zubereitete Essen ist in kürzester Zeit verspeist usw. Daß gerade die monotoneren,unscheinbareren, undankbareren Hausarbeiten stärker den Frauen zugewiesen sind, hat sich historisch herausgebildet, ist jedoch nicht unmittelbar biologisch begründet. Ihre Befreiung von dieser einseitigen Rollenzuweisung ist eine Aufgabe von kulturhistorischer Tragweite. 3. Bedeutung der Kinderbetreuung. Fürsorge und Betreuung der Kinder heißt Teilnahme an einer Entwicklung, von der Impulse für die Persönlichkeit der Eltern ausgehen. Das wird besonders deutlich, wenn Eltern Anteil nehmen an der schulischen Entwicklung ihrer Kinder. Je größer die Kinder sind, je mehr sie also kooperationsfähig werden in der Ausübung von Hobbys, Sport und Spiel, je mehr "mit ihnen anzufangen ist", also mit fortschreitendem Familienzyklus wächst oft auch der zeitliche Anteil, den Väter an der Interaktion mit ihren Kindern nehmen. 4. Freizeitgestaltung. Hier können vier Formen unterschieden werden, die von uns noch nicht differenziert untersucht werden konnten: a) individuelle Beschäftigung mit Hobbys innerhalb der Familie, b) individuelle Aktivität in Freizeitkollektiven außerhalb der Familie, c) gemeinsame Freizeitgestaltung innerhalb der Familie d) gemeinsame Teilnahme der Familie an außerhäuslichen Aktivitäten. Inhaltlich ist das Spektrum sehr breit. Gerade das familienbezogene Freizeitangebot ist auch unter ländlichen Bedingungen gegeben, jedoch weiter zu entwickeln. Die gesellschaftlichen Anstrengungen für eine gute Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie können sicherstellen, daß eine Frau sich während der Normalarbeitszeit beruflich ebenso stark engagiert, wie ein Mann, der Vater ist. Anforderungen, die darüber hinaus greifen, tangieren das Familienleben. Eine Frau in leitender Stellung, eine Mutter, die Lehrgänge, Konferenzen usw. besucht, Dienstreisen wahrnimmt u.dgl., bedarf dabei der Unterstützung der Familie durch situationsbedingte Umverteilung der häuslichen Arbeiten. Wo die entsprechenden Bedingungen nicht gegeben sind, sind also die familialen Voraussetzungen für Gleichheit der gesellschaftlichen (beruflichen, politischen, kulturellen) Situation von Männern und Frauen im ganzen nicht gegeben. Trotz der zuletzt gemachten Einschränkung, die nicht nur auf den ländlichen Bezugsrahmen geschnitten ist, muß festgehalten werden, daß auch in den Familien der Genossenschaftsbauern der Übergang von der patriarchalischen zur partnerschaftlichen Familie grundsätzlich vollzogen ist, auch wenn die Gegenwirkung von Traditionen und Lebensumständen noch stark präsent ist. 3. Familie - Sozialstruktur - Sozialpolitik 3.1. Zum Problem der Zuordnung bestimmter Familien zu be- stimmten Klassen und Schichten In der soziologischen Literatur der DDR wird weitgehend von einer klassenbezogenen Typisierung der Familien ausgegangen, obwohl auch das geringe Maß der wissenschaftlichen Absicherung solcher Korrelierung außer Frage steht. Auch heute noch muß festgestellt werden, "daß bisher keine Erforschung der Vermittlungsglieder und -faktoren zwischen den sozialökonomischen Verhältnissen der sozialistischen Gesellschaft, der diesen Verhältnissen entsprechenden Sozialstruktur und darauf generell basierenden sozialistischen Lebensweise einerseits und den dieser Lebensweise immanenten sozialistischen Familientyp stattgefunden hat." Nicht hinreichend bewiesen ist daher die Behauptung, "daß jede Gesellschaftsformation ihre klassen- und schichtspezifisch geprägten Familientypen hervorbringt." Aus dieser Behauptung wird jedoch abgeleitet: "Die genossenschaftsbäuerliche Familie ist ein Familientyp der sozialistischen Gesellschaft." "Das klassentypische soziale 'Profil' genossenschaftsbäuerlicher Familien wird durch solche Faktoren geprägt, die auch den drei wesentlichen Momenten der Klasse der Genossenschaftsbauern - eine genossenschaftlich organisierte, agrarisch produzierende und auf dem Lande lebende Klasse zu sein - zu Grunde liegen." Dazu zählt Ingrid Krambach "sozial homogene genossenschaftsbäuerliche Familien in dem Sinne, daß beide Partner zur Klasse der Genossenschaftsbauern gehören" und "im weiteren Sinne" auch "heterogene Familien - in denen nur ein Ehepartner der Klasse der Genossenschaftsbauern angehört." Hier taucht bereits die Frage auf, warum die Familie in der Typisierung nach der Klassenzugehörigkeit des Partners, der Genossenschaftsbauer ist, und nicht nach der des anderen Partners erfolgt. Mit der Vergesellschaftung der Produktion hat die Familie aufgehört, eine Institution zu sein, in der Privateigentum an Produktionsmitteln vererbt und reproduziert wird. Noch immer übt die Familie einen maßgeblichen Einfluß auf die Platzzuweisung der nachwachsenden Generationen in der Klassen- und Sozialstruktur aus; dieser trägt jedoch nicht mehr den Charakter einer Determination. Die Aneignung der materiellen Voraussetzungen des Familienlebens erfolgt nun über das Einkommen, das die Eltern durch Teilnahme an der vergesellschafteten Produktion erlangen. Durch Qualifikation und Wechsel ihrer Tätigkeit können diese Individuen ihren Platz in der Klassenstruktur leichter als je zuvor verändern. Das gilt prinzipiell für Mann und Frau gleichermaßen. "Die Tätigkeit mindestens eines Ehepartners in der Landwirtschaft hat auf Grund der Besonderheiten der Agrarproduktion wesentlichen Einfluß auf den Lebensrhythmus der Familie, die Organisation des Familienlebens, auf die gesamte familiale Lebensweise." Zu fragen bleibt jedoch, ob diese tätigkeitsbezogene Argumentation nicht gleichermaßen auf alle Tätigkeitsgruppen zutrifft, deren Arbeitszeitrhythmus Besonderheiten aufweist (Ärzte, Eisenbahner, Seeleute, Monteure, Angehörige der bewaffneten Organe). Drei weitere Argumente führt I. Krambach an, um die Familie, deren einer Elternteil Genossenschaftsbauer ist, der Klasse zuzuordnen: 1. Das Wohnen auf dem Dorf, 2. Das Betreiben einer individuellen Hauswirtschaft und 3. die Herkunft. Da es sich hier um Gesichtspunkte handelt, die auch für andere ländliche Familien gelten, können auch sie nicht als tragend angesehen werden. Der Kern des Problems liegt in der Beziehung zwischen Aneignungsweise (Eigentumsverhältnissen) und Familie. Welche realen qualitativen Unterschiede es für die Charakteristik der Familie mit sich bringen soll, ob ihre erwachsenen Mitglieder die materiellen Voraussetzungen ihres Lebens genossenschaftlich aneignen oder im Rahmen des staatlich organisierten Eigentums, ist für uns nicht auszumachen. Solange das einzelbäuerliche, patriarchalisch dominierte Familieneigentum Klammer und Existenzgrundlage der Familie darstellte, war die Beziehung zwischen der Klassenposition der Individuen und der Familie eindeutig. Mit dem genossenschaftlichen Zusammenschluß im Rahmen einer sozialistischen Umgestaltung der gesamten Lebensverhältnisse treten die Produzenten aus dem familialen Rahmen heraus, gehen Funktionen wie Organisation der Produktion, aber auch die Sicherung der Individuen "gegen die Wechselfälle des Lebens" auf eine höhere Einheit über, ändert sich vor allem die gesellschaftliche Stellung der Frau, die als juristisch gleichgestellte, ökonomisch selbstbestimmte, gesellschaftlich aktive, gebildete und qualifizierte Persönlichkeit aus der Unterordnung unter patriarchlisch bestimmte Familieninteressen heraustritt. Während die Einzelbauernschaft durch sozialökonomische Barrieren, die als Heiratsschranken in Erscheinung traten, in sich segmentiert und nach außen relativ abgeschlossen war, verflechten die Genossenschaftsbauern von heute ihre "Familienbande" mehr und mehr mit allen anderen Klassen und Schichten der Gesellschaft. Darauf verweist auch das von I. Krambach verarbeitete empirische Material. "Tendenziell scheint sich eine Zunahme der heterogenen genossenschaftsbäuerlichen Familien abzuzeichnen. Die Annahme solch einer Tendenz ergibt sich daraus, daß mit zunehmendem Alter der Probanden der Anteil homogener bzw. mit abnehmendem Alter der Anteil heterogener genossenschaftsbäuerlicher Familien ... zunimmt." Welchen Stand innerhalb dieser Entwicklung weist unser eigenes empirisches Material aus? Nachstehend werden Ergebnisse der ALB 84 und der LebiGd 88 wiedergegeben. Beide Befragungen, deren Probandengut nicht identisch war, geben in der Sache ähnliche Ergebnisse. Tabelle 13: Klassenhomogenität oder Heterogenität der Partnerschaften von Genossenschaftsbauern in % ------------------------------------------------------------- Probanden Befragung N homogene heterogene Partnerschaften ------------------------------------------------------------ insgesamt Alb 84 145 48,3 51,7 LebiGd 88 322 63,7 36,3 weibliche Alb 84 - 58,7 41,3 LebiGd 88 - 70,6 29,4 männliche Alb 84 - 22,0 78,0 LebiGd 88 - 33,3 66,7 Trotz quantitatitver Differenzen verweisen beide Erhebungen in folgenden Punkten auf Analoges: 1. Zwischen 50 und 60 % der partnerschaftlich gebundenen Genossenschaftsbauern sind mit einem Partner gleicher Klassenzugehörigkeit verheiratet. Das deckt sich mit der Aussage bei I. Krambach. 2. Die Aussagen der Befragungen werden stark modifiziert durch die geschlechtsmäßige Zusammensetzung des Samples. Männliche Genossenschaftsbauern sind in weit geringerem Maße mit einer Partnerin gleicher Klassenzugehörigkeit verbunden. Diese Tendenz muß schon in dem Maße zunehmen, wie der Frauenanteil innerhalb der Klasse abnimmt. Bemerkenswert ist aber, daß auch von den Genossenschaftsbäuerinnen weniger als 70 % mit einem Genossenschaftsbauern verheiratet sind. 3. Da sich im Partnerwahlverhalten sozialstrukturelle Veränderungen tendenziell niederschlagen, ist davon auszugehen, daß sich das Bild von Generation zu Generation verändert, worauf ja gleichfalls I. Krambach hinwies. Eine altersmäßige Splittung unseres Probandengutes ist wegen zu geringer Besetzung nicht aussagefähig. 4. Ausgehend von Tätigkeitsmerkmalen und sozialer Schichtung innerhalb der Klasse der Genossenschaftsbauern ist auch eine entsprechende Differenzierung des Partnerwahlverhaltens erkennbar. Der Anteil der mit Angehörigen der gleichen Klasse verheirateten Genossenschaftsbauern differiert (LediGb 88) zwischen den Tätigkeitsgruppen wie folgt: Sozialbereich: 75,0 Produktionsbereich: 66,9 Verwaltung: 61,6 Leitung: 54,3 %. Das deutet darauf hin, daß die sozialstrukturelle Mobilität innerhalb der Klasse nicht gleichmäßig entwickelt ist. 3.2. Zur Rolle der Familien bei der Regeneration der Klasse der Genossenschaftsbauern und der ländlichen Sozialstruktur Das Verhalten der Individuen wird bestimmt von ihren materiellen Interessen und der Art, wie ihnen diese Interessen zu Bewußtsein kommen. Die Gestaltung derjenigen Beziehungen, die an die objektiven Interessen der Individuen, Klassen und der Gesellschaft gebunden sind, ist daher entscheidend für die angestrebten Resultate. Im Lichte dieser Grundposition soll daher gefragt werden, welche Rolle die Familien bei der Reproduktion der jeweiligen Sozialstruktur spielen und welche Akzente bei der weiteren Gestaltung der diesbezüglichen gesellschaftlichen Beziehungen gesetzt werden sollten. Individuen, Kollektive, Klassen und Schichten der sozialistischen Gesellschaft sind in einem entwickelten gesellschaftlichen Organismus verbunden und daher objektiv an einer proportionalen Entwicklung aller Teile dieses Organismus interessiert. Diese Interessen stellen sich auf den verschiedenen Ebenen unterschiedlich dar, sind aber durch bewußte Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse ständig in Übereinstimmung zu bringen. Die Gesellschaft als Ganzes hat das Interesse, daß sich die Individuen optimal auf die gegebene räumliche und funktionale Struktur der Produktivkräfte, auf das gegebene Netz von Arbeits- und Wohnplätzen verteilen. Die Klasse der Genossenschftsbauern ist interessiert an der Gewährleistung einer prosperierenden genossenschaftlichen Produktion, also auch an der Sicherung der entsprechenden personellen Voraussetzungen. Die Familien sind an befriedigenden Arbeits- und Lebensbedingungen aller ihrer Mitglieder interesssiert, und die Individuen an der Befriedigung ihrer materiellen und kulturellen Bedürfnisse. Zwischen diesen Interessenebenen bestehen keine Gegensätze, sie bedingen einander vielmehr. Übereinstimmung von Interessen bedeutet jedoch nicht automatisch, daß sie auch als Triebkräfte wirksam werden. Auch I. Krambach konstatiert, "daß genossenschaftsbäuerliche Familien unzureichend oder gar keinen Einfluß darauf nehmen, daß aus der eigenen Familie Kinder als Berufs- und Klassennachwuchs gewonnen werden. Gegenüber der einzelbäuerlichen Familie besteht kein Zwang, für die einzelne Familie und deren Existenzsicherung die eigenen Kinder wieder Genossenschaftsbauern werden zu lassen. Auch hängt die Existenz der jeweiligen LPG nicht davon ab, ob von ihren Mitgliedern jede Familie zur personellen Reproduktion des eigenen genossenschaftlichen Eigentümerkollektivs beiträgt." Daß die einstmals schicksalhafte Bindung der Individuen an die Arbeits- und Lebensbedingungen, die gesellschaftliche Stellung, für die sie durch ihre Geburt prädestiniert wurden, aufgehoben ist, gehört zu den progressiven Resultaten der sozialistischen Revolution. Die soziale Mobilität der Individuen ist eine Errungenschaft mit Konsequenzen. Es reicht dabei nicht aus, an die Beteiligten zu appellieren und auf die Karte der Seßhaftigkeit zu setzen. Seßhaftigkeit ist ein passiv bestimmter Begriff, in dem das Moment der Trägheit mitschwingt. Dem gegenüber ist ein Konzept aktiv gestaltender Heimatverbundenheit dialektisch zu bestimmen ("denke global und handle lokal") und als Weltverwobenheit zu realisieren. Es wäre dissonant, in einer Zeit, da wissenschaftlich-technischer Fortschritt nach sozialer Mobilität, einschließlich territorialer Beweglichkeit, verlangt, eine ländliche Seßhaftigkeit zu konservieren. Der Umstand, daß die Homogenität der Klassenzusammensetzung dort am größten zu sein scheint, wo sich ungünstige Arbeits- und Lebensbedingungen mit ungenügender subjektiver Mobilität kumulieren ("homogene genossenschaftsbäuerliche Familien arbeiten häufiger als ... Handarbeitskräfte" bzw. in herkömmlichen Anlagen der Tierproduktion), ist eher bedenklich. Gerade aus den Erfordernissen der Intensivierung der Landwirtschaft ergeben sich qualitative Erfordernisse für die Entwicklung der Klasse, für die die nachwachsenden Generationen zu gewinnen sind. In der Entscheidung der Kinder für oder gegen eine Zukunft in der Landwirtschaft und im Dorf, spielt die Haltung der Eltern nach wie vor eine ausschlaggebende Rolle. In welcher Richtung die Eltern auf ihre Kinder Einfluß nehmen, ist ein Problem ihres Daseins und Bewußtseins als Eigentümer. In der Aussage "geh woanders hin, damit du es besser hast als wir!", kommt mangelhaftes Perspektivbewußtsein zum Ausdruck. Das ist ein gesellschaftliches, ein genossenschaftliches Problem. Grundsätzlich steht die Aufgabe, Unzufriedenheit mit den lokalen Arbeits- und Lebensbedingungen an Ort und Stelle zu binden, also in gestaltende Aktivität zu führen. Das ökonomisch-politische Instrumentarium ist vorhanden und wird mancherorts erfolgreich genutzt, z.B. wo Frauenausschüsse und Jugendkommissionen sich auf die Frage konzentrieren: Was ist zu tun, damit mehr Frauen und Jugendliche in unserem Dorf und in unserer Genossenschaft ihre Zukunft sehen? Die Perspektive ist ein wichtiger Aspekt des Eigentümerverhaltens. An der personellen Zukunft der Genossenschaft und des Dorfes sind objektiv alle interessiert. Es ist stärker erlebbar und erkennbar zu machen. Trotz sozialer Sicherheit haben alternde Menschen nach wie vor ein Interesse daran, an ihrem Lebensabend auch eigene Kinder in der Nähe zu wissen. Und wer einen Aufbau begonnen hat, ist auch daran interessiert, daß er fortgeführt wird. Der Arbeitskräftebedarf der LPG in Menge und Qualität kann nur langfristig gesichert werden, wenn und in wie weit es gelingt, nicht Individuen, sondern Familien zu binden. Männer und Frauen aller Generationen müssen für sich eine konkrete Perspektive sehen, wenn Regeneration stattfinden, das Kontinuum der Generationen gesichert sein soll. Auch die Sicherung der Lebensqualität der Klasse verlangt dieses komplexe Herangehen an die Fragen der personellen Reproduktion der dörflichen Sozialstruktur.  Programm der SED. Berlin 1976. S. 40  Vgl. Trinkus, J.: Ausgangspositionen und Ansatzpunkte zur Untersuchung familialer Aspekte der gesellschaftlichen Stellung der Frauen in ländlichen Territorien. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der EMAU. Ges.wiss. Reihe. 37 (1988) H.4. S. 66-68; und: Trinkus, J.; Adler, St.: Zur Sicherung des Anteils werktätiger Frauen in der Landwirtschaft. Probleme der personellen Reproduktion der Klasse der Genossenschaftsbauern. In: Informationen zur soziologischen Forschung in der DDR. H. 3/88. S. 18-22 Tabelle 1:  Grundmann, S.; Schmidt, I.: Wohnortwechsel. Berlin 1988, S. 56-57  Ebenda, S. 87  Münzenberg, W.: Die Vereinbarkeit der Mutterschaft mit der Berufstätigkeit der Frau, untersucht in der LPG (T) Lübz. Diplomarbeit, Greifswald 1988.)  6) Vgl.: Ergebnisse, Erfahrungen und Probleme bei der Erhöhung der gesellschaftlichen Rolle der Bäuerinnen und Arbeiterinnen in der Tierproduktion und Schlußfolgerungen zur weiteren Erhöhung ihrer Wirksamkeit und Verantwortung. Erarbeitet vom Frauenaktiv beim Rat des Bezirkes Neubrandenburg, Juni 1987 (unveröffentl.)  Analyse zur Förderung der Familien- und Geburtenentwicklung im Kreis Pasewalk, ausgearb. von der Frauenkommission der Kreisleitung der SED, o.J. o.S. Abschn. 4  Siehe Einschätzung der Rolle der Genossenschaftsbäuerinnen in der sozialistischen Landwirtschaft des Kreises Pasewalk, 7.3.1985 (unveröffentl. Material der Frauenkommission der Kreisleitung der SED Pasewalk)  Vgl. Meyer, K.: Die Motivation des Kinderwunsches und die Beeinflussung seiner Realisierung durch soziale Faktoren und Parität. Diss. A. Rostock 1986, S. 11  Ebenda, S. 20  Vgl. Meyer,K.: a.a.O. Tab. 11  Berechnet nach Angaben der Staatl. Verwaltung für Statistik, Kreisstelle Greifswald, Formblatt 055/1.  Vgl. Meyer, a.a.O. S. 11.  Vgl. z.B. Deenen, B. v.; Kossen-knirim, CH.: Landfrauen im Betrieb, Haushalt und Familie. In: Veröffentlichungen der Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Heft 60, Bonn 1981, S. 162 ff.  s. Meyer, a.a.O. S. 12  Dynen; Sroca: Das reproduktive Verhalten der Frauen in der DDR unter besonderer Berücksichtigung ihrer familiären Lebensumstände. Diss. A - Berlin 1985, S. 46 2.  Diesen Gesichtspunkt hat K.H. Knüppel empirisch belegt. s. Knüppel, K.H.: Zur Entwicklung der Familie unter besonderer Berücksichtigung territorialer Bedingungen. Inauguraldiss. A. Rostock 1979. S. 127 ff.  Gysi, J.: Zu einigen theoretischen Aspekten der Herangehensweise an familiensoziologische Forschungen zur Ausprägung der sozialistischen Lebensweise auf der Ebene der Familie. In: Informationen des Wiss. Rat "Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft, Heft 2/1980, S. 39  Krambach, I.: Zum Charakter der genossenschaftsbäuerlichen Familie und ihrer Rolle bei der sozialen Reproduktion der klasse der Genossenschaftsbauern. Diss. A, Berlin 1984, S.19  Ebenda, S. 33  Ebenda, S. 49  Ebenda, S. 51  Ebenda  Ebenda, S. 52  Ebenda, S. 49  ebenda, S. 97  Ebenda, S. 69  s. H. Schmidt: Berufsnachwuchs - wer sollte wann das Berufsintereesse wecken? Eine praktische und psychologische Aspekte aus Untersuchungen des Zentralinstituts für Jugendforschung. In: Kooperaion. 16(1982) H.11, S. 522 ff.