Beitragstitel: Ein Wegweiser durch den Blätterwald von 4 Jahrhunderten in Mecklenburg und Pommern

Ich habe keinen Sendenachweis. Ich glaube, das wollten die Schweriner nicht haben.

Anmoderationsvorschlag:

Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern? - Die von vorgestern wird schon wieder interessant, sind doch Gazetten, die für den alltäglichen Gebrauch bestimmt waren, die unmittelbarsten schriftlichen Zeitzeugen, viel weniger gefiltert als Jahrbücher, Chroniken oder historische Abhandlungen. Trotzdem sind die Zeitungen in den Bibliotheken im Allgemeinen das am wenigsten erschlossene Material. Vor Kurzem aber ist ein Wegweiser durch den Blätterwald Mecklenburg-Vorpommerns erschienen, ein Katalog der Zeitungen von ihrem Anfang bis zum Jahre 1992. Dort erfahren Sie zum Beispiel, daß die älteste Zeitung Mecklenburgs und Pommerns zwischen 1687 und 1757 erschienen ist, "Stralsundischer Relationscourier - Extract aller einkommenden Novellen" heißt und im Stralsunder Ratsarchiv fast vollständig erhalten ist. Jürgen Trinkus stellt die Bibliographie und ihren Autor vor, den er in Berlin besucht hat.

Beitragstext

Sein aktives Arbeitsleben als Abteilungsleiter der Staatsbibliothek unter den Linden zu Berlin hat Dr. Heinz Gittig schon vor einiger Zeit beendet. Jetzt ist er 71 Jahre alt, doch vier Wochen vor seinem 71. Geburtstag ist im Juni im Eigenverlag der Staatsbibliothek seine Bibliographie der Zeitungen und Wochenschriftren Mecklenburgs und Pommerns erschienen, an der er ungefähr ein Jahr gearbeitet hatte. 1063 Periodika sind dokumentiert mit mehr als 700 Verweisungen, denn viele Zeitungen haben im Laufe ihrer Geschichte Erscheinungsbild und Namen geändert. Der Zeitungsbegriff wurde bewußt sehr weit gefaßt, so daß auch Illustrierte, Amtsblätter, kirchliche Gemeindeblätter, amtliche Mitteilungen und Badeanzeiger dokumentiert sind. Zu jedem dokumentierten Titel ist ausgewiesen, wo er aufbewahrt wird und wie vollständig er dort vorhanden ist. Die Fundortangaben sind in Kürzeln und Schlüsseln angegeben, so daß der ungeübte Benutzer sicher ein paar Minuten der Einarbeitung benötigt.

Natürlich konnte sich der Bibliothekar im Unruhestand, der meist schon gegen 7 Uhr an seinem Schreibtisch sitzt, auf die Sammeltätigkeit der drei großen wissenschaftlichen Bibliotheken in Schwerin, Rostock und Greifswald stützen. Hier hat er auch den Löwenanteil der nachgewiesenen Editionen geortet: in der UB Greifswald 44% der verzeichneten Titel (die Hälfte davon nur in Greifswald), in der UB Rostock 23%, in der Mecklenburgischen Landesbibliothek Schwerin 36%. Auch die Wojewodschafts- und Stadtbibliothek Sczczecin hat mit dem Autor kooperiert. Insgesamt sind 61 Bibliotheken, Archive, kirchliche Einrichtungen und Museen beteiligt gewesen. Heinz Gittig:

(O-Ton) Gittig: "Die meisten Bibliotheken habe ich zunächst einmal angeschrieben. Einige haben mir prompt gemeldet, was sie haben. Es gibt drei Bibliotheken, die haben überhaupt nicht reagiert, obwohl ich da weiß, daß es da was gibt."

Archivare freilich haben oft andere Sorgen. So bekam Gittig mitunter zu hören:

(O-Ton) Gittig: "'Ich habe im Augenblick dazu gar keine Zeit. Ich muß die Grundstücksakten ordnen. Jeder kommt und hat Ansprüche und will' und so weiter. 'Ja, also, wenn Sie's brauchen, müssen sie's alleine machen!' Ich hab also mein Bestes versucht."

Und so hat Heinz Gittig vorort schon mal überlasteten Archivaren unter die Arme gegriffen.

(O-Ton) Gittig: "In Neustrelitz (lacht), also da kann man ja 'n bißchen was erleben. Die schrieben, 'Ja, wir haben fürchterlich viel, aber sie müssen herkommen.' Naja, dacht ich, fängst Du in Neustrelitz an! Und die Kollegin da, sagt 'se, 'Ach, daß ist nett daß Sie kommen! Ich zeig Ihnen mal.' Und da hat sie mich in einen Dachboden geführt. 'Hier liegen unsere Zeitungen gestapelt! Wenn Sie die aufnehmen, wär's ja schön. Jetzt haben wir endlich mal einen Katalog, und Sie tragen die Bestände zusammen.' Also hab ich die Klamotten ausgezogen und erst mal angefangen, die Bestände zu ordnen und aufzunehmen."

Als studierter Historiker mag Heinz Gittig die Zeitungen. Hat er sich in den seinerzeitigen Neuigkeiten auch mal festgelesen? Der Historiker wäre dazu schon verführbar gewesen, doch der Bibliothekar sagt:

(O-Ton) Gittig: "'s gibt 'n altes Sprichwort: Ein Bibliothekar, der liest, ist für die Arbeit verloren! Wenn man anfängt zu blättern, wird nichts draus."

Aus anderen Gründen bleibt es auch vielen Nutzern versagt, in den alten Zeitungen zu blättern.

(O-Ton) Gittig: "Das Zeitungspapier ist eben das billigste Papier gewesen, und Zeitungen sind mehr als alles andere vom Verfall bedroht. Man wird also den einen oder anderen Zeitungsband nur unter Vorbehalt zur Verfügung stellen zur Einsichtnahme, zur Auswertung. Einige Bibliotheken haben begonnen (Greifswald, Rostock und auch Schwerin), ihre Zeitungen zu verfilmen, so daß also die Originalbestände erhalten werden können, und die Nutzung durch Film durchaus möglich ist."

Für den 71-jährigen Bibliothekar aus Berlin ist das Kapitel "Zeitungen und Wochenschriften in Mecklenburg und Pommern" erst einmal abgeschlossen. In der Hoffnung auf reichliche Benutzung seines Wegweisers hat er sich dem nächsten Projekt zugewandt. Ende des Jahres will Dr. Heinz Gittig ein neues Manuskript abgeben. Es handelt sich um eine Bibliographie zur illegalen Literatur in Nazideutschland.