Sieben Vorspiele zu einem Nachruf

 

III

Wann ist der Tod eingetreten?

Die Frage muß beantwortet werden. Der amtliche Schein, das strenge Protokoll - das muß schon sein.

Tragen wir ein: "Dritter Oktober 1990 00.00 Uhr".

Das ging schon lange als Zombie umher.

Der kleine Prinz trifft vielleicht die Stimmung:

Du verstehst. Es ist zu weit. Ich kann diesen Leib da nicht mitnehmen. Er ist zu schwer. ... Aber er wird daliegen wie eine alte verlassene Hülle. Man soll nicht traurig sein um solche alten Hüllen...

Wir sind anders. Nicht der Leib ist die Hülle, die wir zurücklassen. Es ist die Seele. Fahnentuch mit Emblem. An manchen Stellen ist uns die Hülle ins Fleisch gewachsen. Die Ablösung ist schmerzhaft. Nackt gehe ich in die Zukunft.

Dort wohnen schon Leute.

Daß wir nicht so frieren, wurde unser Binnenland konsumfreundlich getauscht. "Blicket hinan. Der Schornstein raucht."

Nacht deckt die Blöße. Es ist schön, nackt und ungesehen zu baden in der baltischen See.

In den Dünen geht ein Militärfahrzeug in Stellung. Auf dem Weg, den wir eben noch gegangen, steht ein Schild "Sperrgebiet" für die Dauer der Nacht. Auf dem Fahrzeug ist ein mächtiger Scheinwerfer montiert.

Der Scheinwerfer tastet das Ufer ab. Jeder Wellenkamm, jeder Schwan weit draußen wird sichtbar.

Und der besondere Spaß: Der Leuchtkegel fixiert Badende, die soeben dem Wasser entstiegen. In ihrer verspielten Unbedecktheit stehen sie plötzlich auf einer hell erleuchteten Bühne. Mit den Händen schützen sie sich vor den Blicken der vielen Fremden längs des Strandes und rennen an Land.

Nicht viel länger als ein Jahr ist das her und schon nicht mehr wiederholbar. Es liegt jenseitig, ist gebunden an die DDR, die nachts ihre Küste vor den eigenen Leuten gesichert hat.

Gierig kreisen andere Scheinwerfer jetzt, die Sucher der bunten Gazetten. Wen sie festhalten, der ist nackt vor der Nation. Wenn sie dich wollen, kriegen sie dich. Wenn sie wollen, machen sie dich fertig.

 

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© by Juergen Trinkus 1990