Sieben Vorspiele zu einem Nachruf

 

V

Wie war das doch am Ende der Nazi-Zeit?

Die Bundesrepublik konnte ihre Geburtsfehler beinahe vergessen. Ist sie nicht ansehnlich gediehen? Und wohin die Entnazifizierung im Osten geführt hat, kann jeder sehn. ... bis alles in Scherben zerfällt.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft kann mit ihrer Geschichte leben. Der akademische Bau des Ostens wird es nicht können. Wo ist das Geld der DFG nicht überall hingeflossen. Bis 1944 Jahr für Jahr in die "Asozialenforschung" und die "Bastard- und Kriminalbiologie" des Robert Ritter, Oberarzt der Jugendabteilung in der Universitätsnervenklinik Tübingen und späterer Leiter der "Rassen-hygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle Berlin". Die Theorie, die dort zur akribischen Praxis wurde, besagt:

Zigeuner sind erbveranlagt kulturarm, geschichtslos und typisch Primitive, die in der Nähe nicht mehr entwicklungsfähiger Zwerge angesiedelt sind.

Nach dem Krieg gab's Arbeit genug - für Ritter als Leiter der Fürsorgestelle für Gemüts- und Nervenkranke und als Jugendpsychiater in Frankfurt am Main; für seine Mitarbeiterinnen als Professorin für Anthropologie in Tübingen bzw. als Kriminalpsychologin und Sachverständige für schwererziehbare Kinder. (zu Ritter und seinem Team s. "Spiegel" Nr. 36/90, S. 40)

Jetzt fliegt schnell mal alles in einen Topf. Es ist ein Zug der "Zeit", Christa Wolf als "Staatsautorin" zu beringen. Rechts hat es sich leichter zurückgeduckt ins Glied als links. Das kann nicht anders sein, wenn links tatsächlich der höhere Anspruch steht. "Was bleibt?" Rechts und links - "lechts und rinks"?

Die Tage zwischen dem 4. und 9. November 1989 waren Aufstieg und Fall eines historischen Mißverständnisses: Jetzt seien wir ganz nahe dran an der edlen Gelehrtenrepublik, mit Schriftstellern an der Spitze - an Philosophen herrschte Mangel.

Der introvertierte Gedankenarchitekt wohnt hinter dem Mond, den die extrovertierten Techniker beschlagnahmen... Zu unmäßig ist das mittlerweile zum Topos herabgesunkene Mißverhältnis zwischen Macht und jeglichem Geist geworden, daß es die vom eignen Begriff des Geistes inspirierten Versuche, das Übermächtige zu begreifen, mit Vergeblichkeit schlägt. (Adorno)

Emsige Geistesarbeiter suchen jetzt die Gelegenheiten zusammen, bei denen sie widersprochen haben. Gestern noch hat ihr privates Ruhebedürfnis noch etliche Feuerköpfe ins Auge laufen lassen. Jedes "aber" aber - und das soll jetzt nicht mehr wahr sein - hat ein "ja" zur Basis.

In das Wortpaar "ja, aber" läßt sich das Verhältnis der "interpretierenden Klasse" (Wolf Lepenies) der DDR zum Realsozialismus schmelzen. Das "ja" entspricht der Tradition der "Fürstenerziehung". Den im Grunde geistfeindlichen Funktionären haben Künstler und Wissenschaftler immer wieder zugeredet, daß es darum ginge, die gute Sache besser zu machen. Es sollte jedoch auch nicht unter den Tisch fallen: Das "aber" war das geistige Brot, von dem das Volk in großen Stücken nahm. Wer nichts anderes kannte, spürte ja nicht: das Mehl war schlecht.

 

Zurück blättern! Zurück zur Übersicht der Wendetexte! Fortsetzung!

© by Juergen Trinkus 1990