Filme für Blinde auf DVD

Aneignung eines Themas

Es grenzt zumindest an Hochstapelei, was ich da angeschoben habe. Ins Programm zum III. Boltenhagener Bücherfrühlings habe ich als Nachmittagsveranstaltung ein Thema aufgenommen, das den Rahmen, wenn nicht sprengt, so doch unerhört erweitert: "Wie die Bilder Sprache werden". Um Audiodeskription geht es, na schön: das kann man machen, sollte man sogar, wenn wir schon so hervorragend technisch ausgestattet sind, das wir dabei auch das neueste Medium nutzen können, das dafür zur Verfügung steht, die DVD; Und dazu kommt schließlich noch eine Tonwiedergabeanlage, die am high end, dem höchsten Ende ds Möglichen angesiedelt ist: die Manger Schallwandler. Nein, das ist kein Dolby Surround oder so. Das sind einfach zwei, nun nennen wir es mal so profan - Lautsprecher. Das besondere an ihnen ist die Membran, die dem Schallereignis nicht nur eine frequenzgetreue Ausbreitung, sondern auch eine amplitudengenaue gestattet. Aber ich bin zu weitschweifig. Ich sprach ja von beinaher Hochstapelei.

Als Referenten habe ich einen Menschen eingetragen, der sich bislang kaum Zeit genommen hat, um sich tiefer in die Materie zu knieen. Dieser Jemand bin ich. Und nun habe ich also begonnen, mich vorzubereiten, und wenigstens mein Instinkt, hier ein aufregendes Tehma für den richtigen Ort und den richtigen Zeitpunkt angefasst zu haben, hat sich schon bestätigt. Ich werde den sachkundigen Freunden, die in der mailing Liste zum Hörfilm mitlesen, also diese kleine Vorstudie zum Boltenhagener Workshop übermitteln, nicht um noch Teilnehmer zum III. Boltenhagener Bücherfrühling im Mai zu zu werben. Das Haus ist voll. ABer etwas Werbung für das "Haus Seeschlösschen" des BSV Mecklenburg-Vorpommern darf wohl sein. Der dortige Fernsehraum hat sich nähmlich zum Medienzimmer gemausert. An der einen Wand stehen die Bücherregale. An einer anderen gibt es eine gut sortierte und auch in Braille katalogisierte Vinyl-Schallplattensammlung, und die kann jeder benutzen, mit einem leicht bedienbaren, die Platten schonenden Player, der an die Manger-Anlage angeschlossen ist. Man kann natürlich auch mit dem Bildschirmlesegerät arbeiten. Es gibt einen Videorecorder, also auch einen Fernseher, und - damit schließt sich der Kreis wieder, einen DVD-Spieler nebst den verfügbaren AD-Filmen. Herz, was willst Du mehr? Meer? Liegt ja direkt vor der Tür!

Hier erst mal noch die Links für Informationen, die noch weiter in die Abschweifung Boltenhagen führen.

Homepage des Hauses

Meine Homepage

Informationen zu den Veranstaltungen, die ich in Boltenhagen organisiere

Das Publikum wird sich bunt zusammensetzen. Blinde/Sehbehinderte werden dabei sein und auch Sehende, darunter Schriftsteller, die bei uns Leseveranstaltungen haben.

Wie hört sich ein Film an, den man nicht sieht? Dass macht sich zum Einstieg am besten über den allbekannten Vorspann zum "Tatort". Ich spiele die Musik vor. Die Sehenden werden die oft geschauten Bilder assoziieren. Ich kann also gleich die AD-Fassung hinterher schieben. Mir und Gleichbetroffenen sagt sie, worauf es beim Betrachten ankommt.

Der Einstieg wäre somit vermutlich geschafft. Nun kann an die Vormittagsveranstaltung angeknüpft werden. In ihr ging es um eine Blindenbibliothek. Das ist Tradition beim Ostseeperlen-Bücherfrühling. Nach der DZB Leipzg und der Centralbibliothek Hamburg ist in diesem Jahr die Berliner Hörbücherei für Zivil- und Kriegsblinde zu Gast. Und Eberhard Dietrich hat versprochen, dass er die "Blechtrommel" mitbringt. Da haben wir das "Alibi" für die Einbindung des Themas in den Bücherfrühling: eine Literaturverfilmung. Mit Bezug auf sie, wird also der Vormittag mit dem Hinweis auf den Nachmittag enden:

Also, wir zeigen einStück VHS-Kassette und reden über die Problematik analoges Fernsehen mit seinen zwei Tonkanälen. Über die Unzulänglichkeiten dieser Übertragungswege und den Verdruss, den es damit schon gegeben hat und immer wieder gibt, wurde ja in der einschlägigen Mailing List Hörfilm schon heftig gestritten (ich war nicht unbeteiligt).

Es muss aber auch gesagt werden, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seinen analogen Übertragungswegen ein wesentlicher Partner des Deutschen Blinden-Verbandes war und ist, Partner des Arbeitskreises Hörfilm unter Leitung von Dr. Detlef Friedebold (Berlin) und schließlich des Projektes Hörfilm mit seinen Beschreiberteams und der rührig-umtriebigen Leiterin, Frau Martina Wiemers, die gerade mit Zukunftssicherung für die begonnene Arbeit befasst ist.

Auf den Web-Seiten des Hörfilmprojektes Hörfilm lese ich dazu:
"Projekt Hörfilm geht über in die „Deutsche Hörfilm gGmbH“
Das Projekt Hörfilm des DBSV geht nach Ablauf seiner auf drei Jahre konzipierten Projektphase über in die „Deutsche Hörfilm gGmbH“, die alle vom Projekt wahrgenommenen Aufgaben fortführen wird. Schwerpunkte werden also neben dem Info-Service für Nutzer die qualitative und technische Weiterentwicklung sowie die Vergrößerung des Hörfilm-Angebots sein."

Und die bayerischen Pioniere sind unbedingt zu würdigen (Bernd Benecke und Elmar Dosch), und unser treuer Vorposten bei Arte, Birgit Gabriel muss genannt sein. Auf Kino-Aktivitäten (PRO SIEBEN in den frühen Jahren - das muss ich noch mal recherchieren; Berlinale: alle Jahre wieder) kommen zur Sprache.

Der Wegebau ins digitale Fernsehzeitalter hat in Mainz begonnen an jenem historischen 14. Dezember 1998, wovon zu reden sein wird.

Aber endlich kommen wir

zur DVD = Digital Versatile Disc oder Digital Video Disc

Zur technischen Seite der Sache kann gut nachgelesen werden. Meine Bezugsquelle für solideres Grundwissen: DVD-Kompendium von disc4you!

Normalerweise sehen DVDs den CDs zum Verwechseln ähnlich. Es gibt aber auch DVDs, die beidseitig beschrieben sind, und solche, die im Durchmesser nicht 12 sondern nur 8 cm haben. Die "einfache" DVD enthält mit bis zu 4,7 GB, also schon fast 6-mal so viel wie auf einer CD (650 MB). Damit sind die technischen Horizonte offen für die vielen Extras der Hyper-Welt.

Zum Abspielen brauchen wir auch mal wieder eine neue Gerätegeneration. DVD-Player können aber wenigstens auch für AudioCDs und teilweise auch CDs mit mp3-Dateien benutzt werden. Wir schließen unser Gerät nun aber an den Fernseher an, damit Sehende auch was von der Sache haben und damit sie uns bei kniffligeren Menü-Navigationen helfen können.

Vor allem sollten wir nicht auf eine gute Tonwiedergabe verzichten, denn für eine solche bieten die DVDs im Allgemeinen schon ordentlich was auf die Ohren.

Die DVD ist angetreten, die VHS-Kassette abzulösen. Das wird nicht so schnell geschehen, denn vor allem zum eigenen REcording ist VHS preiswert und ausgereift. Und die besten Filme kommen ja leider zu Zeiten, in denen fast nur noch die Videorecorder wach sind.

Allerdings auf dem Weg zum Bild- und Ton-komfortablen Heimkino ist die DVD in vielen Hinsichten von Anfang an überlegen:

DVD und Hörfilm

Zum aktuellen Angebot informiert man sich am besten auf

beim Projekt Hörfilm!

Die ersten DVDs mit Audiodeskription waren die Film-Klassiker

Es folgten:

Das Projekt Hörfilm hat es verstanden, sich als Partner so einzubringen, dass

a) kompetente Filmbeschreiberteams die Filmbeschreibung erstellen und b) die AD als zusätzliches Feature auf die regulären Editionen aufgebracht werden, so dass wir nicht ins Ghetto geraten sind.

Im Klartext: DVDs mit Audiodeskription werden nicht als Sonderanfertigungen über den Blindenhilfsmittelversand oder Blindenbibliotheken angeboten, sondern sind regulär in Videotheken und im Fachhandel erhältlich.

Die Partner, mit denen Ministerpräsident Kurt Beck, der Vorsitzende der Rundfunkkommission der Ministerpräsidenten den DBSV 1998 in Mainz zusammenbrachte, haben hier geholfen, vor allem Media Markt und Sat.1.

Wir legen also eine DVD in den Player, der sofort mit dem Abspielen startet. Wir hören einen belehrenden Hinweis zum Urheberschutz und dann noch einen unübergehbaren Hinweis zum Starten der AD-Fassung. Wir halten die Fernbedienung in der Hand, um auf Anweisung der Stimme aus dem Lautsprecher die Enter-Taste zu drücken. Und los geht's.

Für die Demonstration der Audiodeskription werde ich gleich die neueste Scheibe einlegen: „DANCER IN THE DARK", Drama, ca. 134 Min., Dänemark 2000 Regie: Lars von Trier Mit Björk, Catherine Deneuve, David Morse, Peter Stormar

Audiodeskription: DBSV, Projekt Hörfilm, mit freundlicher Unterstützung von Sat.1
(VCL, Bestell-Nr. 13888, DM 49,95).

Das gute Stück ist sein Geld wirklich wert. Da ist zum einen der außergewöhnliche Film und zum anderen das fortgeschrittene Bedienkonzept. Erstmals wird uns ein sprechendes Menü zur Verfügung gestellt. Ich aktiviere es, um etwas wichtiges zu zeigen:

Die Filme auf DVD sind in Kapitel und Unterkapitel untergliedert und enthalten daneben noch zahlreiche Extras, sozusagen das elektronische Kinoprogrammheft mit Interviews, Künstlerportraits, Blicken hinter die Produktionskulissen und mitunter Szenen, die eigentlich der Schere zum Opfer fielen.

Ich wähle im sprechenden Menü die Kapitel. Sie sind in Blöcken angeordnet und es sind 16 Kapitel in 4 Blöcken. Für die Vorführung wähle ich Kapitel 3 und 4 aus "Dancer in the dark".

Gemeinsam mit Bill erfahren wir Selmas Geheimnis. Sie wird in Bälde erblinden, aber sie muss arbeiten, um Geld zu sparen für eine Augenoperation ihres Sohnes, der die gleiche Krankheit hat wie sie, aber nichts davon wissen darf.

Wir gehen mit Selma (Björg) durch ihren Alltag zwischen Wohnwagen, Fabrik und Theater. Wir werden mitgenommen, in die Träume, die die reale Welt immer dann zum Tanzen bringen, wenn Selma in Schwierigkeiten gerät. Diese Fluchten sind ohne gekonnte Filmbeschreibung für uns einfach nicht nachvollziehbar.

Im Kapitel 4 geschieht die Schlüsselszene des Filmes. Ohne sie ist alles Weitere nicht nachvollziehbar. Und hier wird der Wert der Filmbeschreibung unüberbietbar evident.

Bill besucht Selma im Wohnwagen. Er verabschiedet sich und eine Tür klappt zu. Für meine und für Selmas Ohren ist Bill gegangen. Von denFilmbeschreibern erfahre ich: Bill ist nicht gegangen. Er steht noch hinter der Tür. Und von dort (Selma bemerkt es nicht und ich hätte es auch nicht bemerken können) sieht er, wie Selma ihre Ersparnisse aus dem Versteck holt und ihren Monatslohn dazu tut. Für den weiteren Verlauf des Filmes, der hier nicht vorweg genommen werden soll, ist diese Szene von entscheidender Bedeutung.

Auch der andere neue Film auf DVD mit AD erschleißt sich uns ohne Beschreibung gar nicht:

FREQUENCY
Science Fiction, ca. 118 Min., USA 2000
Regie: Gregory Hoblit
Mit Dennis Quaid, Jim Caviezel, Noah Emmerich, Elisabeth Mitchell
Leih-DVD ab 06.03.2001 in Videotheken erhältlich
Kauf.DVD ab 05.06.2001 im Handel (Kinowelt, Best.-Nr. 500211), DM 49,95

Mein Sohn hat mir die DVD aus der Videothek mit gebracht und wir sitzen gemeinsam vor dem Gerät und lassen uns in den Film hineinreißen. Feuerwehrmänner agieren. Von der Sprecherin erfahren wir, dass einer von ihnen Frank Sullivan ist. Für die Filmbeschreiber muss der Mann einen Namen haben. Für den puren Betrachter bekommt er ihn erst später.

In der Handlung sind Ereignisse von 1969 mit denen von 1999 verknüpft. Vater und Sohn, die über diesen Zeitsprung hinweg über das alte Funkgerät des Vaters kommunizieren, greifen in die Geschichte ein. Nachdem sich Vater und Sohn als solche erkannt haben, sagt der Nachgeborene dem Vorfahren, dass dieser am kommenden Tag bei einem Großbrand umkommen wird, weil er den falschen Weg durchs Feuer gewählt hat. Diese Voraussage verändert nun die Geschichte: Frank kommt nicht um. Doch diese Änderung zieht weitere nach sich. Frau und Mutter Julia wird zum Opfer eines Serienmörders, mit dem auch der Sohn im Jahr 1999 befaßt ist, weil alte Knochen den Fall neu aufrührten. John ist ja Polizist. Dieser Instruiert nun den Vater so, dass er dem Mörder entgegen tritt. Die Handlung verliert mehr und mehr den festen Boden. Hat sich die ursprüngliche Geschichte nun in 2 oder 3 oder mehr Varianten aufgelöst?

Ein philosophisch durchaus interessantes Modell: Wer meint, sein Schicksal von einer Gefahr wegzuwenden, schafft völlig neue Implikationen, die sich am Ende als noch verhängnisvoller erweisen können. Im Film wendet sich alles schließlich recht rasch zu einem glücklichen Ende. Mir gefällt das nicht so richtig. Dennoch, ein großartiger Film, ohne Audiodeskription wäre er nur wirr und in seinen rasanten Wechseln und Verschachtelungen zwischen den Ebenen fast unverstehbar.

Doch wenn wir alles so halbwegs verstanden haben, sind wir mit der DVD noch längst nicht fertig. Jetzt wird es erst richtig interessant. Wenn ich den deutschen Text und den visuellen Zusammenhang kenne, kann ich mir die orginalsprachige Fassung antun. Bei "La Strada" ist das italienisch, bei ALLES ÜBER MEINE MUTTER spanisch und bei den anderen englisch.

Als nächstes nehme ich die Extras. Bei "Dancer in the dark" sind es die Informationen über Macher und Darsteller, die bei sonstigen CDs nur als Text für Augen geliefert werden. Es sind Interviews mit den Schauspielern und Filmemachern in der Orginalsprache. Und bei "Frequency" haben mich die Kommentare von Regisseur, Drehbuchschreibern, Produzenten und Kameraleuten gefesselt.

Der Film als Gegenstand einer vieldimensionalen Beschäftigung, das macht die Welt der digitalen Medien möglich. Nur eine bange Frage bleibt: Ist das für uns Blinde bedienbar?

Die Fernbedienung meines Players enthält - neben einigem Schnickschnack - einen Nummernbock, mit dem ich die Kapitel anspringen kann, die Grundtasten für Play, Stop und Pause, für Vor- und Rücksprung und dazu einen Block Menü-Tasten: Menü, hoch, runter, links, recht, Enter und Return (Escape). Eine der Extratasten heißt "Audio". Nachdem ich sie gedrückt habe, kann ich mit den up- und down-Tasten die Sprachfassungen wählen, natürlich zu jedem beliebigen Zeitpunkt, nur nicht im obligaten Vorspann. Der lässt sich auch überspringen, aber das schafft bei uns zu Hause nur mein Sohn Michael mit dem on-screen-Menü. Das muss nicht das letzte Wort in dieser Sache bleiben, aber lassen wir es erst mal dabei.

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