VIII. Boltenhagener Tage für akustische Medien
19. bis 22. Oktober 2006:
Sprache und Stimme im Medienkontext
Im Rückblick

Auf Dieser Seite gibt es zunächst einen Programmablauf und weiter unten einen persönlichen Rückblick des Tagungsleiters. Von den Programpunkten aus sind Links zu den Passagen des Rückblicks gesetzt, die sich auf den jeweiligen Punkt beziehen.

Ablauf

Donnerstag, 19.10.2006

19:30Vorstellungsrunde
20:30Hörspiel "De Stimm" von Hinrich Kruse, Produktion: NDR 1973.SprungBemerkung

Freitag, 20.10.2006

09:30Workshop "Die eigene Stimme als Instrument"
Leitung: Pernille Sonne (Schauspielerin und Sprachgestalterin) SprungRückblick!
13:15Hörstunde für Nimmersatte: Die schlanke Stimme", Produktion in kopfbezogener Stereophonie beim Rundfunk der DDR, 1976, Regie: Albrecht Surkau
16:00Schlussteil des Workshops mit Pernille Sonne
17:00Projektarbeit.
1. Sequoia - eine Mastering-Software zur Audiobearbeitung; erläutert und demonstriert von Reinhard Walter im Medienraum. SprungRückblick!
2. Altchinesische Fabeln. Eine gemeinsame Lesung in verteilten Rollen wird vorbereitet. SprungRückblick!
20:30Ergebnisse. Zusammenkunft und Vorstellung der erarbeiteten Lesung sowie der Weihnachts-CD des Tonmeisters Reinhard Walter, gemastert mit Sequoia.

Sonnabend, 21.10.2006

09:30Workshop: Wie man Stimmen sieht, hört und macht.
Leitung: Prof. Hartwig Eckert (Universität Flensburg). SprungRückblick!
13:30Schlussteil des Workshops
16:35Werkstattgespräch mit Klangschürfer Martin Daske. SprungRückblick!
20:00Die Klangschürfer: Per Anhalter durch die Galaxis. Sprung
22:15 Gespräch mit Klangschürfer Rainer Rudloff
Sontag, 22.10.2006
09:30Schlussrunde mit Kling-Aus.

Kleiner Rückblick

So viel Workshop war noch nie zuvor in dieser Veranstaltungsreihe. Vorangestellt aber war ein Hörspiel-Hören. Ob es an der niederdeutschen Sprache oder dem Verzicht auf Erläuterungen durch den Tagungsleiter - also mich - lag, in der Schlussrunde jedenfalls wurde von mehreren Teilnehmern angemerkt, dass ihnen die Absicht dieser Hörstunde nicht aufgegangen sei. "De Stimm" von Hinrich Kruse (NDR-Produktion 1971) hat die Machtausübung durch Sprache und Stimme zum Thema. Möller (dargestellt durch Ivo Braak) ist als Büroangestellter mit dem Mann konfrontiert, der in den Soldatenjahren des Weltkriegs sein Feldwebel war. Wie damals übte er die Macht über Menschen durch den Einsatz seiner Stimme aus. Aber diese Macht wird gebrochen, wo sie unerträglich wird.

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Die eigene Stimme als Instrument zu benutzen, war die Zielvorgabe für den Workshop am Freitag. Eigentlich war die Gruppe mit mehr als 20 Teilnehmern für diese Arbeit zu groß, aber es wurde mit bewundernswerter Konzentration und Disziplin gearbeitet. Pernille Sonne hat mit unwiderstehlichem dänischen Charme, gepaart mit dem leisen skandinavischen Humor und vor allem ihrer Kenntnisse und ERfahrungen als Schauspielerin und Sprachgestalterin zielstrebig durch die Variationsbreite stimmlicher Gestaltungsmöglichkeiten geführt. Sie hatte aber auch ein hoch motiviertes Kursantenvolk, welches dankbar war für die erstaunlichen Erweiterungen eigener Stimmlichkeit.

Und wie gut, dass die Gruppe so groß war, meinten wir alle beim Erlebnis der Lautdusche. Die Beduschten bildeten dazu einen inneren Kreis. Um ihn verteilte sich der andere Teil der Gruppe und folgte Pernilles Vorgaben, auf die Rücken der Innenstehenden Laute zu schleudern. Das war ein Erlebnis besonderer Art, das sehr tief und schön war.

Nachdem der Stimmapparat geöffnet wurde durch Wortgebilden, bei denen der Inhalt nicht so wichtig war wie die Lautfolgen, ging es an die Sprachgestaltung anhand von Gedichten von Christian Morgenstern zum Thema Wind. Gestalterische Lust machte auch daraus ein geselliges Vergnügen.

Durch besondere Kreativität tat sich nun Thomas Vallentin hervor. Bei einem Leipziger Aquariumsbesuch hatten er und Pernille die seltsamen Namen etlicher Fische notiert. In einem postmorgensternschen Werk hatte Thomas einen Text verfasst, der gleichfalls zu den Resultaten der VIII. Boltenhagener Tage für akustische Medien gezählt und hier also auch veröffentlicht werden soll.

Fischsuppe

© Thomas Vallentin, Boltenhagen 20.10.06

Da hängt was! Sprach der weitäugige Butt,
und dat iss gar nich gutt...
Es ist dunkel - sehe nicht!
Roter Neon, mach mal Licht!

Es sendet nicht - meint der Antennenwels,
Ich rieche nichts - schnüffelt die Nase,
Ich kann es nicht zerschneiden - verzweifelt der Weißstirnmesseraal.

Jetzt hab ich Angst, ein kleines bisschen,
zittert das Moderließchen.

Sprach Spitzblauer Doktorfisch:
... verarzten kann ich's nich...
Ich mag es auch nicht küssen müssen - seufzte der Pfauenlippfisch.

Hamlettfisch in Blau, deklamierte schlau:
"Sein oder Nichtsein - das ist meine Plage"

Dem Lifallili Buntbarsch - geht schon das Eis auf Grundarsch.
Einem gefleckten Knochenhecht - geht es bereits im Magen schlecht.

WEN hat es nun am End' erwischt? - Ich weiss von nischt!
Vielleicht - wenn's allen Andern auch geffällt's -
Den Großköpfigen Bratpfannenwels.

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Anschließend ging es in Klausuren. Eine Schar technisch Interessierter ließ sich von Tonmeister und Produzent Reinhard Walter anhand der Software Sequoia in die Möglichkeiten der Soundbearbeitung am PC einführen. In der Schlussdiskussion meinten Teilnehmer, es habe ihnen an Demonstrationsbeispielen gefehlt. Diese aber hätten den Rahmen gesprengt, einen unverhältnismäßigen Vorbereitungsaufwand erfordert und den Überblickscharakter der Einführung eingeschränkt.

Für den eher musisch ausgerichteten Teil der Truppe wurde eine Auswahl altchienesischer Fabeln verteilt. Diese waren solistisch oder in Kleingruppen für die abendliche Lesung vorzubereiten. Wie sich schließlich der philosophische Zirkel dieser Zusammenstellung schließen würde, wusste zunächst nur der Tagungsleiter, dessen Zusammenstellung es war. Eingeweiht war lediglich Pernille Sonne, die bei der Erarbeitung des Leseauftritts als Konsultantin zur Verfügung stand. Wie die Teilnehmer in der Abschlussrunde sagten, gehört auch dieses Projekt zu den als gelungen erlebten Veranstaltungen.

Zum Abschluss des Tagesprogramms hat Reinhard Walter seine soeben fertig gestellte Weihnachts-CD "Stern von Bethlehem" vorgestellt. Sie sei hier als Geschenk-Idee wärmstens empfohlen!

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Prof. Dr. Hartwig Eckert propagiert sehr alltagsnah eine Kultur des Zuhörens. Deren Wert erkennt zunehmend auch die Wirtschaft, die sich des Sprechwissenschaftlers mehr und mehr als Coach und Berater bedient. Statt in alter Weise die Kundschaft mit werbenden Botschaften zu überspülen, werden nunmehr die Antennen für die Wünsche der Adressaten geschärft und jene Bruchstellen ergründet, an denen Kunden verloren gehen. Hier wird die Sprechwirkungsforschung zum gefragten Anwenderwissen.

Prof. Eckert bot seinem Auditorium Zuhörübungen an. Es kam darauf an herauszuhören, wieviel Informationen aus den mitgebrachten und im Raum angefertigten Aufnahmen zu entnehmen waren über die jeweils agierenden Personen. Was waren deren Absichten und tatsächlichen Wirkungen? Wir sollen lernen, uns mit den Ohren der anderen zu hören.

Für den ersten Eindruck, den jemand macht, bekommt er keine zweite Chance. Wichtig ist es z. B., seine natürliche, mittlere Stimmlage zu finden und auch zu pflegen.

Wenn wir sprechen, formulieren wir inhaltliche Aussagen, doch sie sind stets auch mit nonverbalen Botschaften unterlegt. Wenn das, was unsere Worte sagen wollen, dem widerspricht, was unsere Stimme artikuliert, wird man der Stimme mehr glauben als den Worten.

Wir lernten das kommunikative Paradoxon kennen, demzufolge unsere Rede nie so funktioniert, wie von uns gewollt.

Soweit wir in die Feinheiten gehen konnten, befassten wir uns z. B. mit Sprechlachern. Diese spielen stets etwas herunter: die eigene Person, das Thema oder das Gegenüber.

"Reden ist silber. zuhören ist Gold." Diesem Credo wurden wir im Eifer des Gesprächs leider nicht so gerecht, wie es der maximalen Ausbeutung der Gelegenheit entsprochen hätte, Prof. Hartwig Eckert für vier Stunden bei uns zu haben. Wir gaben leider allzu viel Silber aus.

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Martin Daske war der Bitte nachgekommen, einige Kostproben seiner Arbeit als Audioartist mitzubringen. In unseren Hörraum hinein zauberte er komplexe Kompositionen aus Naturklängen und eine Auftragsarbeit des Prix Italia, welcher er den Titel gegeben hat: "Molch, versunkenes Schachspiel betrachtend". Der Auftrag bestand darin, aus 80 Fragmenten von Preisträgerstücken vergangener Jahre ein eigenständiges Werk zu bauen.

Martin Daske (Jg. 1962) ist von der Musik zum Hörspiel gekommen und findet, anach seinen eigenen Worten, mehr und mehr zurück zur Komposition. Das zeigt sich auch in seinen Arbeiten für Deutschlandradio Kultur. Seine Komposition "no barking at any time" wird am 24.11.2006 in der Sendereihe "Klangkunst" aufgeführt (Wiederholung in der "Werkstatt" am 28.11.2006).

Uns gab Martin Daske Auskunft über sein Leben zwischen der Arbeit im heimischen Studio und den Terminen, die ihn durchs Land touren lassen, so auch mit Rainer Rudloff im Duo Klangschürfer. In der Schlussrunde wurde geäußert, dass man sich weniger Klangbeispiele und stattdessen ein wenig mehr Einblicke in Produktionstechniken gewünscht hätte. Wünsche aber werden immer offen bleiben.

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Für das Finale der Medientage hatten wir das Duo "Die Klangschürfer" mit ihrer Version eines echten Klassikers verpflichtet. Der Stimmvirtuose Rainer Rudloff und der Komponist und Audioartist Martin Daske führten Douglas Adams "Per Anhalter durch die Galaxis" auf. Und weil die Aufführung wirklich überzeugend war, ist geplant, sie im März 2007 auf die Kieler Ohrenweide des Kulturprojektes blickfrei - Dialog jenseits des Augenscheins zu holen.

Textlich hielt sich das Stück weitgehend an die literarische Vorlage. Kürzungen waren unumgänglich. Man sollte also das Buch unbedingt auch mal wieder zur Hand nehmen. Hier geht's zu meinem kleinen Reader! In der Bearbeitung kam den Klangschürfern ihre genaue Kenntnis des Originals und seiner französischen Übersetzung zugute.

Der textliche Vortrag begeisterte alle. An der Klangkunst schieden sich Geister. Es gab jedenfalls reichlich zu lachen und ordentlich was auf die Ohren.

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Unsere Verabredung mit den Klangschürfern war gerade noch unterzubringen in deren Terminkalender. Leider konnten sie nicht bis zum anderen Morgen bleiben. Daher haben wir das für unser Thema äußerst wichtige Gespräch mit Rainer Rudloff noch am späten Abend abgehalten. Wir lernten einen vielseitigen und umtriebigen Menschen kennen, der für die Kunst des gesprochenen Wortes lebt und ein wenig auch von ihr leben kann. Wir haben uns für Weiteres verabredet.

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Fazit

In diesem Jahr ist der Medienkontext vielleicht an wenig zu kurz gekommen. Die Boltenhagener Tage für akustische Medien sind aber ein auf längere Sicht angelegtes Projekt. Die meisten Teilnehmer haben sich zu einem Stamm gefunden und was wir gemeinsam tun, schafft Kontext über Jahre hinweg.


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Erstellt am 27.07.2006Zuletzt geändert am 07.01.2007
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