Parzival Pechvogel mindestens trimedial

Neben der gedruckten und der gesprochenen Ausgabe gibt es den Kinderroman von Jens Sparschuh jetzt auch in Brailleschrift, gedruckt in der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig.

Dieses kleine Buch im a4-Format, das es mit seinen dicken Blättern auf einen Rückenumfang von drei nebeneinander liegenden Fingern bringt, liegt jetzt auf meinen Knien.

Wenn ich die Titelblätter und das Inhaltsverzeichnis überblättert habe, folgt ein Relief, welches den Titelhelden, den Papagei Namens Parzival anfassbar macht. Und dann folgt der Text für meine Finger.

Am unteren Rand der vorder- und rückseitig bedruckten Seiten stehen zwei Zahlenangaben: eine für die aktuelle Punktdruckseite, die andere für die Referenz zum Buch mit der Augenschrift.

Was die Punktschriftseitenzahl 3 trägt, ist in Schwarzschrift schon Seite 10. Sicher liegt das an den Illustrationen von Manfred Bofinger, die dem Punktschriftleser nicht mitgeliefert werden können.

Also, auf meiner Seite 3, auf Eurer Seite 10, da ist der kleine Papagei Parzival noch nicht aus der (oder von der?) Schule geflogen. Da hat er seine große Reise auf der Suche nach Opagei in Hamburg noch nicht begonnen; da hockt er noch im Zoo bei Mama- und Papa-Papagei; und da hat er noch diese spezielle Weltsicht.

Ich nehme die Finger von der Tastatur, damit der linke Zeigefinger, mein Lesefinger den Text aufnimmt, den ich als Leseprobe zitieren möchte.

Wenn er die Augen zusammenkniff und das Köpchen ein bisschen zur Seiteruckte, sah er aus wie ein Adler - richtig gefährlich! Also, das ließ er besser bleiben.
Denn er war ja nicht alleine! Wenn der kleine Papagei nämlich durch die Gitterstäbe schaute, sah er oft seltsame Gestalten herumstolzieren ... Das waren Tiere, die auf zwei Beinen gingen und die keine Federn hatten. Sie sahen ziemlich gerupft aus. Manchmal blieben sie dicht am Papageienkäfig stehen, machten große Augen und schrien: 'Oh, ist der süß!' oder sie schoben verklebte Hustenbonbons, kleine Finger oder alte Fahrscheine zwischen den Gitterstäben des Käfigs hindurch.
Mamagei hatte ihm streng verboten, etwas davon anzunehmen. Aber einmal hatte der kleine Papagei trotzdem einen Straßenbahnfahrschein gegessen ... Igitt! Das wollte er wirklich nie wieder tun!
Er war froh, dass diese gefährlichen Zweibeiner da draußen hinter Gittern lebten. Später, als der kleine Papagei schon ein wenig größer war und etwas mehr verstand, erklärte ihm Mamagei, dass diese Tiere dort Menschen hießen und für gewöhnlich frei herumliefen ...
Das verstand der kleine Papagei überhaupt nicht. Wie konnte man so etwas zulassen? Ratlos starrte er aus dem Käfig in die Welt. Und wozu waren dann die Gitterstäbe da?

Ich hätte mir auch das Büchlein in der Buchhandlung holen können. Das wäre dann kein Lesestoff für die Finger; aber verzichten hätte ich trotzdem nicht müssen; und der Text wäre schneller im Computer gewesen, nicht ohne Übertragungsfehler freilich. Normale Bücher zu hören oder lesen erlaubt mir der Scanner am Computer mit der Texterkennungssoftware. Aber ein Punktschriftbuch oder Heft unter die Finger zu nehmen, ist eine wichtige Ergänzung zum Lesen mit den Ohren. Nur der sinnlich Zeichen für Zeichen aufgenommene Text festigt und aktualisiert die Orthographie. Auf die kann ich natürlich nicht verzichten, wenn ich mich per Tastatur schriftlich mitteile. Handschriftlich bin ich übrigens ein Analphabet. Da schreibe ich gerade mal meine Unterschrift. Wie die aussieht? Na´, die meisten Leute sehen es gnädig.

Ich bin nicht immer so gnädig, eher wichtigtuerisch: Was bin ich doch für ein kluges Kerlchen, finde ich doch auch mal was, wovon ich meine, dass es der Lektor übersehen hat. Oder hat sich folgender kleiner Fehler erst bei der Punktschriftübertragung eingeschlichen? Seite 46: Als er wieder draußen war, musste er erst mal tief Luft holen. Vor Schreck hatte er in diesem finsteren Kellerloch kaum geatmet.
Parzival flatterte weiter der Straße entlang.