Woher sie kommen, wohin sie gingen - biografische Skizzen

Perry Friedman

Sein Banjo hat Eingang gefunden ins Bonner "Haus der Geschichte".

Perry Friedman wurde am 25. September 1935 geboren. Nach dem Abitur wanderte er drei Jahre als Gelegenheitsarbeiter durch Nordamerika und entwickelte sich unter dem Einfluß von Pete Seeger zum Folksänger. 1959 übersiedelte Perry Friedman in die DDR, wo er 1966 den Hootenannyclub Berlin mitgründete, aus dem später der Oktoberklub wurde. Von Perry lernten die Singebewegten der DDR nicht nur die nordamerikanischen Spieltechniken für Gitarre und Banjo, sondern auch ein unvoreingenommeneres Herangehen an die eigenen Volksmusiktraditionen. Gelegentliche Tourneen in die BRD waren zum Beispiel mit der Teilnahme am Ostermarsch verbunden. Bei der Förderung und Beratung der Singeklubs arbeitete Perry Friedman eng mit dem FDJ-Zentralrat zusammen, der ihm auch die Organisation der Liedertourneen der FDJ 1983-1986 ermöglichte. Beim Auftakt im Oktober 1983 war übrigens Udo Lindenberg dabei.

Perry Friedman hat seinen nordamerikanischen Akzent nie abgelegt, doch die DDR wurde ihm so etwas wie eine zweite Heimat. Zwischen 1971 und 1976 war er doch nach Kanada zurückgekehrt, um dort u.a. für den Rundfunk zu arbeiten. Perry Friedman ist 1995 in Berlin gestorben.

Wolf Biermann

Prägend war Wolf Biermann für die politische Liederszene der letzten 40 Jahre schon im Wortsinn, hat er doch den Brechtschen Begriff des Stückemachers auf das Handwerk des Liedermachens übertragen. Sein Leben und werken polarisiert. Stets tritt er so auf, daß kaum jemand neutral bleiben kann. Er spielte eine namhafte Rolle im kulturellen Aufbruch der frühen 60er Jahre und mit seinem Namen ist die größte kulturpolitische Verwerfung der DDR-Geschichte verbunden. Wolf Biermann zu ignorieren, geht nicht. Hier die gekürzte und leicht überarbeitete Darstellung seines Lebenslaufes aus dem "Munzinger Archiv".

Wolf Biermann wurde am 15. November .1936 in Hamburg geboren. Der Vater, der auf einer Hamburger Werft arbeitete, war nach 1933 im kommunistischen Widerstand engagiert und wurde 1943 im KZ Auschwitz ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Wolf Biermann den "Jungen Pionieren" bei und war 1950 Leiter einer Pionierbrigade beim Weltjugendtreffen in Berlin (DDR). Als eines der wenigen Arbeiterkinder besuchte er bis 1953 das Heinrich-Hertz-Gymnasium in Hamburg, dann ein Internat bei Schwerin (DDR). An der Berliner Humboldt-Universität studierte er anschließend Politische Ökonomie und in den Jahren 1959-1963 Philosophie sowie Mathematik. Seine Neigung galt aber dem Theater. 1957-1959 war er als Regieassistent am "Berliner Ensemble" tätig. Gefördert wurde er durch den Komponisten Hanns Eisler. Ab 1960 begann er eigene Lieder zu komponieren, zu texten und zu veröffentlichen.

Mit Freunden baute Biermann 1961/1962 ein altes Hinterhofkino zum "Berliner Arbeiter- und Studententheater" (b.a.t.) um, das bereits vor der Premiere geschlossen wurde. Ein erstes Auftrittsverbot dauerte bis Juni 1963. Nach zweijähriger Kandidatenzeit wurde Biermann nicht als Mitglied in die SED aufgenommen (1963).

1964 war er Gaststar des Ostberliner Kabaretts "Die Distel" und unternahm eine Konzertreise durch die Bundesrepublik. In Westberlin trat er zusammen mit Wolfgang Neuss in dessen "Asyl" auf. Als 1965 (Neuaufl. 1976) im Westberliner Wagenbach Verlag seine Gedichtband "Die Drahtharfe" erschien, erhielt er von den DDR-Behörden Auftritts-, Publikations- und Ausreiseverbot. Damit war ein vorläufiger Schlußstrich unter eine Kampagne gesetzt, die schon vor dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 ihren Anfang genommen hatte: Man warf Biermann u. a. Klassenverrat und Obszönität vor. Erst im September 1976, elf Jahre nach Inkrafttreten des Berufsverbotes, hörte das DDR-Publikum den verfemten Protestsänger erstmals wieder in der evangelischen Kirchengemeinde in Prenzlau.Im Nov. 1976 erhielt der unangepasste Liedermacher ein Visum für eine Tournee durch die Bundesrepublik, die am 13. November in Köln begann. Am 17. November berichtete ADN, daß die zuständigen Behörden ihm das Recht auf einen weiteren Aufenthalt in der DDR entzogen hätten. In der Begründung hieß es unter Hinweis auf Biermanns Auftritt in Köln, er hätte in einem kapitalistischen Land ein Programm gestaltet, das sich ganz bewußt und gezielt gegen die DDR und gegen den Sozialismus gerichtet habe.

Biermanns Ausbürgerung löste Proteste vieler Künstler in der Bundesrepublik und Solidaritätsbekundungen einer Reihe namhafter DDR-Schriftsteller und -Künstler aus. Viele verließen in der Folge das Land, manche mußten ins Gefängnis, wie der später freigekaufte Autor Jürgen Fuchs.

Im Westen setzte Biermann, der nicht "den Berufsdissidenten spielen", "öffentlich seine Ostwunden lecken" wollte, seine Künstlerkarriere fort. Mit Trauer, Wut und Heiterkeit brachte er auf den vielen in- und ausländischen Tourneen die Schatten der Vergangenheit zur Sprache, rechnete er mit der DDR ab, artikulierte er die Unzufriedenheit mit dem neuen Lebensraum und bekundete er nimmermüde seine sozialistische Einstellung.

Auf Einladung von DDR-Liedermachern war er Anfang Dezember 1989 eingereist. In den folgenden Monaten (1990/1991) mischte sich Biermann mit Aktionen und Aufsätzen in die Tagespolitik ein - als Besetzer des Stasi-Hauptquartiers, Schiedsrichter im Literaturstreit und Befürworter der US-Intervention am Golf. Eine aufsehenerregende Diskussion über den Einfluß der Stasi auf die DDR-Kulturschaffenden löste er im Oktober 1991 mit seiner Dankesrede zur Verleihung des Büchner-Preises aus: Er führte darin "eine sehr unakademische Attacke auf die Oppositionsgruppen der DDR im allgemeinen ("von Stasi-Metastasen zerfressen") und auf den Lyriker Sascha Anderson ("Stasi-Spitzel") im besonderen, der in der DDR als führender regimekritischer Literat gegolten hatte. Nach der ersten Einsicht (15.1.1992) der eigenen Stasi-Akten in der Berliner Gauck-Behörde erklärte Biermann seine öffentliche Auseinandersetzung mit der Stasi für beendet und verzichtete darauf, weitere Spitzel zu enttarnen. Im November 1994 war B. in den Schlagzeilen wegen seiner Angriffe auf den PDS-Politiker Gregor Gysi und den für die PDS am 16. Oktober 1994 in den Bundestag gewählten Schriftsteller Stefan Heym, den er einen "aufsässigen Feigling" nannte. Einen Skandal gab es im Dezember 1994, als der österreichische Bildhauer Hrdlicka im "Neuen Deutschland" seinen Brief an den Schriftsteller und Sänger Biermann veröffentlichte, in dem er ihn wegen seiner Kritik an den PDS-Politikern als "Arschkriecher" und "Trottel" bezeichnete.

Die vorläufig letzte große Schlagzeile stammt vom Januar 1998: Wolf Biermann tritt auf der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth auf.

Kurt Demmler

Als Kurt Demmler am 12.Sepember 1943 in Posen geboren wurde, war sein Vater ein deutscher Jagdflieger. Darauf kam Kurt später zurück als er seine "Lieder des Kleinen Prinzen" nach Texten von Antoine de St.Exepury verfasste. Dieser wurde ungefähr zur gleichen Zeit an der gleichen Kriegsfront wie Demmlers Vater als vermisst gemeldet.

Der Arztsohn studierte selbst Medizin und war zwischen 1969 bis 1976 auch als Facharzt für Allgemeinmedizin tätig. Mit eigenen Liedern trat Demmler erstmals 1965 hervor. 1967 gehörte er zeitweilig dem Oktoberklub an, doch fällt bei den Aufnahmen aus dieser Zeit auf, daß er sich als Solist mit einem eigenen Chansonstil profilierte. Mit eigenen Liedern hat er zwischen 1971 und 1990 5 LPs, ein Doppelalbum und eine CD eingespielt. Unzählige Texte schrieb er für fast die gesamte DDR-Rockprominen z, vor allem für die Klaus Renft Combo, Electra Kombo Dresden, Stern Meißen und Veronika Fischer. Der Vielschreiber verstand es meisterhaft, den jeweiligen Interpreten auf den Leib und aus der Seele zu schreiben. Bei der großen Künstlerdemonstration am 4. November 1989 sang er auf dem Berliner Alexanderplatz sang er ein Lied gegen die allgegenwärtige Überwachungspraxis des Staatssicherheitsdienstes. Insgesamt ist aber zu sagen, daß das Ende der DDR dem bis dahin atemberaubend produktiven Liederpoeten Demmler, den künstlerischen Boden entzogen hat, obwohl er nur selten als vordergründig agitierender Politsänger in Erscheinung getreten war. Kurt Demmler lebt in Leipzig.

Hans-Eckardt Wenzel und Steffen Mensching

Nein, die DDR war nicht mundtot infolge des Exodus nach dem November 1976. Für die streitbare Kleinkunst dseit den späten 70er Jahren stehen Namen, hinter denen kaum eine äußerlich ereignisreiche Biografie zu finden ist. Sie haben aber die Widersprüche der Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurden, so sehr verinnerlicht, daß sie sie mit künstlerischen Mitteln bewältigen mußten, um nicht daran zugrunde zu gehen. Es sind Kleinkünstler, die mit hohem intellektuellen Anspruch die Verheißungen der Marxschen Weltideen doch noch einlösen wollten, Leute wie Jürgen Wolff und Dieter Beckert (Duo Sonnenschirm), die politische Bühne Dresden um den Dichter Bernd Rump, die Dramaturgin Karin Wolf und die Musiker Frieder Wissmann und Jürgen Magister. Den Part der scharfzüngigen, sinnenfrohen, intelligenten und das ganze Register der musikalischen, spielerischen sowie poetischen Ausdrucksmittel beherrschenden schelmen übernahmen vor allem Wenzel und Mensching.

Hans-Eckardt Wenzel wurde am 31.7.1955 in einem Dorf bei Wittenberg als Lehrerskind geboren. Er studierte 1976-1981 Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Nach diesem Studium wurde er freischaffend. 1976-1984 prägte er maßgeblich das Liedtheater "Karls Enkel" mit. Seine Solo-LPs "Stirb mit mir ein Stück" (1986) und "Reisebilder" (1989) sind mittlerweile auch als CDs erhältlich. In letzter Zeit kamen die Solo-CDs "Traurig in Sevilla" und als Aufarbeitung eines Projektes, das schon unter Karls Enkel als Programm existierte, die Theodor-Kramer-Lieder.

Gemeinsam mit Karls Enkel, Beckert und Schulz Und der Gruppe Wacholder inszenierten beide 1982 die "Hammerrewüh" und 1987 die "Sichel-Operette. Ein soziales Experiment mit viel Musik". Sie gehören zu denen, die in der DDR der 80er Jahre für geistige und gesellschaftliche Erneuerung die Grenzen des legal Machbaren ausreitzten.

1992 erschien die bitter-sarkastische Epochenbilanz "Abschied der Matrosen vom Kommunismus" als CD beim Autorenlabel Nebelhorn.

Gerhard Schöne

Eine für die DDR-Liedszene ungewöhnliche Sozialisation und Verortung hat Gerhard Schöne aufzuweisen. Er wurde am 10.1.1952 als Pfarrerskind in Coswig (Sachsen) geboren. Nachdem er den Beruf des Korpusgürtlers erlernt hatte, leistete er kirchliche Jugendarbeit und war 1973-78 als Briefträger tätig. Zeitgleich absolvierte er ein Fernstudium für Unterhaltungsmusik/Gesang an der Musikhochschule "Carl Maria von Weber" in Dresden. 1977 erhielt er seinen ersten Preis bei den Chansontagen in Frankfurt/Oder, ein Jahr später leistete der überzeugte Pazifist seinen Militärdienst als Bausoldat. Seit 1979 ist er freischaffend. 1981 und 1982 erschienen mit "Spar deinen Wein nicht auf für morgen" und "Lieder aus dem Kinderland" seine ersten Langspielplatten und machten den vormaligen "Geheimtip" zur moralischen Instanz einer ganzen Generation. Da auch seine liebevollen und humorvoll-frechen Kinderliederprogramme äußerst populär waren, ist Gerhard Schöne noch heute quer durch die Generationen so etwas, was er - ohne sich selbst zu meinen - als Überschrift über sein 1997er Album setzte: ein seltsamer Heiliger.

Gerhard Gundermann

´Gundi´ Gundermann hat zwei Leben in einem gelebt, das Leben eines Maschinenführers im Braunkohletagebau um Hoyerswerda, und das Leben eines Liederkünstlers. Er wollte nie seine Familie mit der Kunst ernähren müssen, um auch künstlerische Krisen ehrlich bestehen zu können. Eigentlich sollten beide Lebenssphären klar voneinander getrennt bleiben, und es störte ihn doch, als - wie er es ironisch nannte - "singender, klingender Baggerfahrer" angesehen zu werden.

Gerhard Gundermann wurde am 21. Februar 1955 als Sohn eines Uhrmachermeisters und einer Lagerarbeiterin geboren, doch das sind eher irreführende Lebensdaten, denn Gundi ist ein Stück der Niederlausitz mit ihrem Boden voller sorbischer Mythen und Löcher, die die Bagger gerissen haben.

Seine Singelaufbahn begann G.G. 1972 im Singeklub Hoyerswerda. Die Liedermachere hat auch mit dem Abbruch seines Studiums an der Offiziersschule der Luftstreitkräfte 1975 zu tun. Danach begann er als Hilfsmaschinist im Tagebau zu arbeiten und qualifizierte sich zum Baggerfahrer. Unter seiner maßgeblichen Mitwirkung formierte sich 1978 aus dem Singeklub Hoyerswerda das Liedtheater und umfassende Kulturprojekt "Brigade Feuerstein". 1982 wurde Gundermann aus der SED, der er seit 1975 angehörte, ausgeschlossen. 1988 erschien seine erste LP "Männer, Frauen und Maschinen" Bis 1998 folgten vier weitere CDs. Kurz vor der Veröffentlichung steht eine Lifeproduktion mit der Gruppe Silly, für die Gundi seit 1988 getextet hat. Nach der Auflösung der Brigade Feuerstein trat er zunächst in der Formation "Gundermann und Freunde", dann mit den "Wilderern" und seit 1992 mit seiner "Seilschaft" auf. . Von ganz eigenem Reiz waren seine Soloauftritte, bei denen er nicht nur aus seinem reichen Liederrepertoir schöpfte, sondern auch Geschichten mit bizarr-skurilen Gedankengängen zum Besten gab. Nachdem seine Beschäftigung bei der LauBAG auslief, hat sich Gundermann um eine Umschulung zum Tischler bemüht. Kurz vor Abschluß dieser Ausbildung, eine Woche nach der Feier 20 Jahre Feuerstein, gerade in der Nacht der Sonnenwende, am 21. Juni 1998 ist Gerhard Gundermann leise und unfassbar in seinem Bett im kleinen Häuschen in der Bereitschaftssiedlung Spreetal bei Hoyerswerda aus dem Leben geglitten.

Ungewöhnlich sachkundig und feinfühlig ist der Nachruf, der im © "Spiegel" erschienen ist.

Sänger ohne Schutzengel
"Der Sspiegel", 29.06.1998, Nr.27, Seite 17:

"Gerhard Gundermann, Musiker und Tagebaukumpel aus der Lausitz, ist tot. In spröden Versen artikulierte er ein typisch ostdeutschesLebensgefühl.
Er war durchaus nicht so, wie man sich einen Rockmusiker vorstellt. Ertrank keinen Alkohol, ernährte sich vegetarisch und war von derverkoksten Boheme des Westens nicht nur räumlich weit entfernt. Wenn die Ostdeutschen, wie es scheint, die grösste kulturelle Minderheit im Lande sind, so war Gerhard Gundermann ihre Stimme - allerdings kaum Richtung Westen, wo er nahezu unbekannt blieb.
In der Nacht zum vorvergangenen Sonntag ist der Deutsch-Rocker Gundermann, der im Dörfchen Spreetal bei Hoyerswerda lebte, mit 43 Jahren gestorben.
Der blasse Blonde mit der Kassenbrille hat 20 Jahre im Lausitzer Braunkohlerevier bei Hoyerswerda als Baggerfahrer gearbeitet - auch noch, als er längst von der Kunst hätte leben können. Aber das wollte er nicht. Geschont hat er sich nie. Mal gab er nach der Schicht ein Konzert, mal fuhr er von einem Konzert zur Schicht.
Seine Lieder über niedergehende Industriereviere, über Vor- und Nachwendepolitiker, über Hoffnungen, Träume und Irrwege fanden nicht selten ein geradezu andächtiges Publikum, von der Zahnarzthelferin bis zum Intellektuellen. Ihnen brauchte sich der Sänger nicht anzubiedern, denn er gehörte sichtlich zu ihnen - wie viele von ihnen und zwei seiner Kinder wurde auch er nach der Wende arbeitslos.
Kaum ein anderer Künstler hat die Enttäuschung vieler Ostdeutscher nach der Vereinigung in so prägnante Verse gefasst wie er: "Du hast mich auf dein Traumschiff mitgezottelt / doch ich kann dich nicht mehr leiden / du drückst mich an dein Herz aus Stein / Und ich sollte dankbar sein."
Gundermann graute davor, "dass weltweit amerikanische Plastikträume zur eigentlichen Sehnsucht der Völker hochstilisiert werden". Doch die flache Ostalgie-Welle war ihm auch suspekt, schon vor der Wende mahnte er DDR-Künstler, "keine mechanische Front zu ziehen zwischen Osten und Westen".
Eigenwillig, oft stur und trotzig waren seine Lieder. Gundermann zählte sich zu jener "übersprungenen Generation" der jetzt 30- bis 45jährigen im Osten, die weder in der Honecker-DDR noch in der vergrösserten Bundesrepublik zum Zuge gekommen war.
Als naiver Idealist, der "Soldat der Revolution" sein wollte, ging Gundermann mit 18 Jahren zur Offiziersschule. Wie viele seiner Altersgenossen im Westen schwärmte er von Che Guevara und dem Vietcong. Seine Karriere in der Nationalen Volksarmee fand ein jähes Ende, als er sich mit 20 weigerte, bei einem Besuch des DDR-Verteidigungsministers Heinz Hoffmann ein Loblied auf "unseren General" zu singen.
Im Tagebau, wo er danach als Hilfsmaschinist anheuerte, trat er der SED bei. Die schloss ihn 1984 aus, wegen "prinzipieller Eigenwilligkeit" und Kritik an Parteifunktionären. Damit endete auch seine achtjährige Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, die ihm "parteifeindliche Verhaltensweisen" attestierte. Schliesslich wurde er selbst von der Stasi bespitzelt.
Zuvor hatte der Musiker als IM "Grigori" über unfähige Parteisekretäre, Schiebung im Betrieb, aber auch über Intimes von Kollegen berichtet. Sein Umgang mit dieser Stasi-Vergangenheit war widersprüchlich, fast schizoid: Einerseits bekannte er unverblümt, er sei "vor mir selbst schuldig geworden", und bedauerte aufrichtig seine "ekligen Petzberichte". Andererseits hielt er, was er über korrupte Kader notiert hatte, störrisch auch weiterhin für richtig. Sein Publikum hat ihm überwiegend bald verziehen. Gundermanns Sprödigkeit, seine unaufdringliche Klugheit hatten etwas Gewinnendes, selbst für politische Gegner.
Das Scheitern der Hoffnung, der reale Sozialismus lasse sich reformieren, und der Untergang des kleinen Landes DDR gingen Gundermann zu Herzen. Ihn schmerzte, dass die Ostdeutschen sich ihre "Souveränität abkaufen" liessen. Er spielte auch bei PDS- Veranstaltungen, doch von Parteien wollte der enttäuschte Ex-SED- Genosse nichts mehr wissen. Der Sänger lehnte jede Art von Vereinnahmung für irgendein "Lager" ab. Vielleicht wirkte er auch deshalb häufig so gehetzt, wie auf dem Sprung zu einem Zug.
Oft wehte durch seine Nachwendelieder eine befremdliche Todessehnsucht. Mal säuselte er vom "Sensenmann" und vom "allerletzten Schuss", mal vom "schwarzen Trichter", in den er einmal fallen würde. Auf seiner letzten CD "Engel über dem Revier" sang er davon, dass ihn, der durch die Schliessung seines Tagebaubetriebs 1997 die Arbeit verlor, sein "Schutzengel" verlassen habe - und die "silbernen Gucklöcher im Himmel" seien zugewachsen.
Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, hat Gundermann einmal etwas "ganz eigen ostdeutsch-russisch Volkstümlerhaftes" bescheinigt. Das war genau beobachtet. Auch wenn er Bruce Springsteen verehrte und im Vorprogramm von Bob Dylan und Joan Baez bei deren Gastspielen im deutschen Osten auftrat, war Gundermann die russische Spiritualität vertrauter als der westliche Zeitgeist.
Er schwärmte von früheren Konzertreisen durch Russland, von improvisierter Technik und dem begeisterten Publikum junger Russen. Gundermanns oft traurige, tragikomische, ausweglose Verse erinnern im Grundton an den russischen Barden Wladimir Wyssozki. Wyssozki, wie Gundermann ein spöttisch-sensibler Sohn des späten Sozialismus, ist 1980 gestorben - fast im gleichen Alter (42) wie der Deutsche und, wie dieser auch, an Herzversagen" (Ende des Spiegel-Artikels!

Wladimir Wyssozki

Inzwischen schreiben wir den Namen in der westdeutschen Transkription. Man kannte und schätzte Vladimir Vissotzki auch in der alten Bundesrepublik, mehr noch aber prägte und förderte ihn Frankreich. Er, der seinen Hauptwohnsitz in Moskau hatte, lebte jahrelang in Paris, wo er mit der Schauspielerin Marina Vlady verheiratet war. Hier entstand u.a. sein berühmtes Doppelalbum "Le Monoment", worin besonders deutlich die stilistischen Prägungen durch Georges wahrzunehmen sind. Die folgenden, informativen Texte stammen vom Cover der LP/CD "Lieder vom Krieg" des Pläne-Verlages in Dortmund.

"Russischer Schauspieler, Dichter, Sänger. 16 Jahre lang festes Ensemblemitglied am Moskauer Taganka-Theater und Darsteller in zahlreichen Filmen. Seine herausragende Popularität aber erhielt der 42jährige durch seine Lieder, von denen die wenigsten zu seinen Lebzeiten auf Platte erschienen. So wurden seine Kassetten millionenfach privat kopiert, und seine Texte zirkulierten in Millionen Kopien.

Wie kein zweiter hat Vissotzki die Gefühle seiner Landsleute getroffen und zwar unabhängig von Personengruppen. Intelektuelle, Arbeiter, Jugendliche und Kriegsveteranen - sie alle kennen seine Lieder.

Als Vissotzki im Juli 1980 an Herzversagen starb, erlebte Moskau eine der größten spontanen Versammlungen; 30.000 bis 40.000 Menschen gaben ihm das letzte Geleit.

Sein Grab wurde zur Pilgerstätte."

Auf der Platte befindet sich abschließend ein O-Ton-Statement des Barden, das hier wiedergegeben werden soll.

"Man fragt mich oft, ob ich im Krieg war, ob ich zur See gefahren bin, ob ich Pilot war ... Nein, ich schreibe einfach nur in der ersten Person; ich sage immer "ich", und wahrscheinlich irritiert das die Leute. In all meinen Texten ist ein großer Teil Fiktion des Autors, Phantasie, und anders hätte es auch keinerlei Wert. Einiges habe ich mit meinen Augen gesehen, übernommen und in Versform gebracht, anderes habe ich mir ausgedacht - obwohl einige sagen, daß sie das kennen, sich in den Situationen befunden haben und sogar die Menschen, über die ich singe, sehr gut kennen. Ich bekomme eine Menge derartiger Briefe, was mich sehr freut. Über den Krieg schreibe ich nicht deshalb, um eine Rückschau in Liedform zu halten. Der Krieg hat uns alle beeinflußt, er hat in jedem Fall jeden Menschen hierzulande berührt. Das war ein so großes Unheil, das für vier Jahre unser Land überzogen hat, daß man sich immer daran erinnern wird. Und solange es Menschen gibt, die sich mit Schreiben beschäftigen und etwas in Worte fassen können, werden sie natürlich über den Krieg schreiben."

 

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Erstellt am 25.11.1998HTML-Fassung im April 2002Zuletzt geändert am 20.06.2004