Woher sie kommen, wohin sie gingen - biografische SkizzenPerry FriedmanSein Banjo hat Eingang gefunden ins Bonner "Haus der Geschichte". Perry Friedman wurde am 25. September 1935 geboren. Nach dem Abitur wanderte er drei Jahre als Gelegenheitsarbeiter durch Nordamerika und entwickelte sich unter dem Einfluß von Pete Seeger zum Folksänger. 1959 übersiedelte Perry Friedman in die DDR, wo er 1966 den Hootenannyclub Berlin mitgründete, aus dem später der Oktoberklub wurde. Von Perry lernten die Singebewegten der DDR nicht nur die nordamerikanischen Spieltechniken für Gitarre und Banjo, sondern auch ein unvoreingenommeneres Herangehen an die eigenen Volksmusiktraditionen. Gelegentliche Tourneen in die BRD waren zum Beispiel mit der Teilnahme am Ostermarsch verbunden. Bei der Förderung und Beratung der Singeklubs arbeitete Perry Friedman eng mit dem FDJ-Zentralrat zusammen, der ihm auch die Organisation der Liedertourneen der FDJ 1983-1986 ermöglichte. Beim Auftakt im Oktober 1983 war übrigens Udo Lindenberg dabei. Perry Friedman hat seinen nordamerikanischen Akzent nie abgelegt, doch die DDR wurde ihm so etwas wie eine zweite Heimat. Zwischen 1971 und 1976 war er doch nach Kanada zurückgekehrt, um dort u.a. für den Rundfunk zu arbeiten. Perry Friedman ist 1995 in Berlin gestorben. Wolf BiermannPrägend war Wolf Biermann für die politische Liederszene der letzten 40 Jahre schon im Wortsinn, hat er doch den Brechtschen Begriff des Stückemachers auf das Handwerk des Liedermachens übertragen. Sein Leben und werken polarisiert. Stets tritt er so auf, daß kaum jemand neutral bleiben kann. Er spielte eine namhafte Rolle im kulturellen Aufbruch der frühen 60er Jahre und mit seinem Namen ist die größte kulturpolitische Verwerfung der DDR-Geschichte verbunden. Wolf Biermann zu ignorieren, geht nicht. Hier die gekürzte und leicht überarbeitete Darstellung seines Lebenslaufes aus dem "Munzinger Archiv". Wolf Biermann wurde am 15. November .1936 in Hamburg geboren. Der Vater, der auf einer Hamburger Werft arbeitete, war nach 1933 im kommunistischen Widerstand engagiert und wurde 1943 im KZ Auschwitz ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Wolf Biermann den "Jungen Pionieren" bei und war 1950 Leiter einer Pionierbrigade beim Weltjugendtreffen in Berlin (DDR). Als eines der wenigen Arbeiterkinder besuchte er bis 1953 das Heinrich-Hertz-Gymnasium in Hamburg, dann ein Internat bei Schwerin (DDR). An der Berliner Humboldt-Universität studierte er anschließend Politische Ökonomie und in den Jahren 1959-1963 Philosophie sowie Mathematik. Seine Neigung galt aber dem Theater. 1957-1959 war er als Regieassistent am "Berliner Ensemble" tätig. Gefördert wurde er durch den Komponisten Hanns Eisler. Ab 1960 begann er eigene Lieder zu komponieren, zu texten und zu veröffentlichen. Mit Freunden baute Biermann 1961/1962 ein altes Hinterhofkino zum "Berliner Arbeiter- und Studententheater" (b.a.t.) um, das bereits vor der Premiere geschlossen wurde. Ein erstes Auftrittsverbot dauerte bis Juni 1963. Nach zweijähriger Kandidatenzeit wurde Biermann nicht als Mitglied in die SED aufgenommen (1963). 1964 war er Gaststar des Ostberliner Kabaretts "Die Distel" und unternahm eine Konzertreise durch die Bundesrepublik. In Westberlin trat er zusammen mit Wolfgang Neuss in dessen "Asyl" auf. Als 1965 (Neuaufl. 1976) im Westberliner Wagenbach Verlag seine Gedichtband "Die Drahtharfe" erschien, erhielt er von den DDR-Behörden Auftritts-, Publikations- und Ausreiseverbot. Damit war ein vorläufiger Schlußstrich unter eine Kampagne gesetzt, die schon vor dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 ihren Anfang genommen hatte: Man warf Biermann u. a. Klassenverrat und Obszönität vor. Erst im September 1976, elf Jahre nach Inkrafttreten des Berufsverbotes, hörte das DDR-Publikum den verfemten Protestsänger erstmals wieder in der evangelischen Kirchengemeinde in Prenzlau.Im Nov. 1976 erhielt der unangepasste Liedermacher ein Visum für eine Tournee durch die Bundesrepublik, die am 13. November in Köln begann. Am 17. November berichtete ADN, daß die zuständigen Behörden ihm das Recht auf einen weiteren Aufenthalt in der DDR entzogen hätten. In der Begründung hieß es unter Hinweis auf Biermanns Auftritt in Köln, er hätte in einem kapitalistischen Land ein Programm gestaltet, das sich ganz bewußt und gezielt gegen die DDR und gegen den Sozialismus gerichtet habe. Biermanns Ausbürgerung löste Proteste vieler Künstler in der Bundesrepublik und Solidaritätsbekundungen einer Reihe namhafter DDR-Schriftsteller und -Künstler aus. Viele verließen in der Folge das Land, manche mußten ins Gefängnis, wie der später freigekaufte Autor Jürgen Fuchs. Im Westen setzte Biermann, der nicht "den Berufsdissidenten spielen", "öffentlich seine Ostwunden lecken" wollte, seine Künstlerkarriere fort. Mit Trauer, Wut und Heiterkeit brachte er auf den vielen in- und ausländischen Tourneen die Schatten der Vergangenheit zur Sprache, rechnete er mit der DDR ab, artikulierte er die Unzufriedenheit mit dem neuen Lebensraum und bekundete er nimmermüde seine sozialistische Einstellung. Auf Einladung von DDR-Liedermachern war er Anfang Dezember 1989 eingereist. In den folgenden Monaten (1990/1991) mischte sich Biermann mit Aktionen und Aufsätzen in die Tagespolitik ein - als Besetzer des Stasi-Hauptquartiers, Schiedsrichter im Literaturstreit und Befürworter der US-Intervention am Golf. Eine aufsehenerregende Diskussion über den Einfluß der Stasi auf die DDR-Kulturschaffenden löste er im Oktober 1991 mit seiner Dankesrede zur Verleihung des Büchner-Preises aus: Er führte darin "eine sehr unakademische Attacke auf die Oppositionsgruppen der DDR im allgemeinen ("von Stasi-Metastasen zerfressen") und auf den Lyriker Sascha Anderson ("Stasi-Spitzel") im besonderen, der in der DDR als führender regimekritischer Literat gegolten hatte. Nach der ersten Einsicht (15.1.1992) der eigenen Stasi-Akten in der Berliner Gauck-Behörde erklärte Biermann seine öffentliche Auseinandersetzung mit der Stasi für beendet und verzichtete darauf, weitere Spitzel zu enttarnen. Im November 1994 war B. in den Schlagzeilen wegen seiner Angriffe auf den PDS-Politiker Gregor Gysi und den für die PDS am 16. Oktober 1994 in den Bundestag gewählten Schriftsteller Stefan Heym, den er einen "aufsässigen Feigling" nannte. Einen Skandal gab es im Dezember 1994, als der österreichische Bildhauer Hrdlicka im "Neuen Deutschland" seinen Brief an den Schriftsteller und Sänger Biermann veröffentlichte, in dem er ihn wegen seiner Kritik an den PDS-Politikern als "Arschkriecher" und "Trottel" bezeichnete. Die vorläufig letzte große Schlagzeile stammt vom Januar 1998: Wolf Biermann tritt auf der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth auf. Kurt DemmlerAls Kurt Demmler am 12.Sepember 1943 in Posen geboren wurde, war sein Vater ein deutscher Jagdflieger. Darauf kam Kurt später zurück als er seine "Lieder des Kleinen Prinzen" nach Texten von Antoine de St.Exepury verfasste. Dieser wurde ungefähr zur gleichen Zeit an der gleichen Kriegsfront wie Demmlers Vater als vermisst gemeldet. Der Arztsohn studierte selbst Medizin und war zwischen 1969 bis 1976 auch als Facharzt für Allgemeinmedizin tätig. Mit eigenen Liedern trat Demmler erstmals 1965 hervor. 1967 gehörte er zeitweilig dem Oktoberklub an, doch fällt bei den Aufnahmen aus dieser Zeit auf, daß er sich als Solist mit einem eigenen Chansonstil profilierte. Mit eigenen Liedern hat er zwischen 1971 und 1990 5 LPs, ein Doppelalbum und eine CD eingespielt. Unzählige Texte schrieb er für fast die gesamte DDR-Rockprominen z, vor allem für die Klaus Renft Combo, Electra Kombo Dresden, Stern Meißen und Veronika Fischer. Der Vielschreiber verstand es meisterhaft, den jeweiligen Interpreten auf den Leib und aus der Seele zu schreiben. Bei der großen Künstlerdemonstration am 4. November 1989 sang er auf dem Berliner Alexanderplatz sang er ein Lied gegen die allgegenwärtige Überwachungspraxis des Staatssicherheitsdienstes. Insgesamt ist aber zu sagen, daß das Ende der DDR dem bis dahin atemberaubend produktiven Liederpoeten Demmler, den künstlerischen Boden entzogen hat, obwohl er nur selten als vordergründig agitierender Politsänger in Erscheinung getreten war. Kurt Demmler lebt in Leipzig. Hans-Eckardt Wenzel und Steffen MenschingNein, die DDR war nicht mundtot infolge des Exodus nach dem November 1976. Für die streitbare Kleinkunst dseit den späten 70er Jahren stehen Namen, hinter denen kaum eine äußerlich ereignisreiche Biografie zu finden ist. Sie haben aber die Widersprüche der Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurden, so sehr verinnerlicht, daß sie sie mit künstlerischen Mitteln bewältigen mußten, um nicht daran zugrunde zu gehen. Es sind Kleinkünstler, die mit hohem intellektuellen Anspruch die Verheißungen der Marxschen Weltideen doch noch einlösen wollten, Leute wie Jürgen Wolff und Dieter Beckert (Duo Sonnenschirm), die politische Bühne Dresden um den Dichter Bernd Rump, die Dramaturgin Karin Wolf und die Musiker Frieder Wissmann und Jürgen Magister. Den Part der scharfzüngigen, sinnenfrohen, intelligenten und das ganze Register der musikalischen, spielerischen sowie poetischen Ausdrucksmittel beherrschenden schelmen übernahmen vor allem Wenzel und Mensching. Hans-Eckardt Wenzel wurde am 31.7.1955 in einem Dorf bei Wittenberg als Lehrerskind geboren. Er studierte 1976-1981 Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Nach diesem Studium wurde er freischaffend. 1976-1984 prägte er maßgeblich das Liedtheater "Karls Enkel" mit. Seine Solo-LPs "Stirb mit mir ein Stück" (1986) und "Reisebilder" (1989) sind mittlerweile auch als CDs erhältlich. In letzter Zeit kamen die Solo-CDs "Traurig in Sevilla" und als Aufarbeitung eines Projektes, das schon unter Karls Enkel als Programm existierte, die Theodor-Kramer-Lieder. Gemeinsam mit Karls Enkel, Beckert und Schulz Und der Gruppe Wacholder inszenierten beide 1982 die "Hammerrewüh" und 1987 die "Sichel-Operette. Ein soziales Experiment mit viel Musik". Sie gehören zu denen, die in der DDR der 80er Jahre für geistige und gesellschaftliche Erneuerung die Grenzen des legal Machbaren ausreitzten. 1992 erschien die bitter-sarkastische Epochenbilanz "Abschied der Matrosen vom Kommunismus" als CD beim Autorenlabel Nebelhorn. Gerhard SchöneEine für die DDR-Liedszene ungewöhnliche Sozialisation und Verortung hat Gerhard Schöne aufzuweisen. Er wurde am 10.1.1952 als Pfarrerskind in Coswig (Sachsen) geboren. Nachdem er den Beruf des Korpusgürtlers erlernt hatte, leistete er kirchliche Jugendarbeit und war 1973-78 als Briefträger tätig. Zeitgleich absolvierte er ein Fernstudium für Unterhaltungsmusik/Gesang an der Musikhochschule "Carl Maria von Weber" in Dresden. 1977 erhielt er seinen ersten Preis bei den Chansontagen in Frankfurt/Oder, ein Jahr später leistete der überzeugte Pazifist seinen Militärdienst als Bausoldat. Seit 1979 ist er freischaffend. 1981 und 1982 erschienen mit "Spar deinen Wein nicht auf für morgen" und "Lieder aus dem Kinderland" seine ersten Langspielplatten und machten den vormaligen "Geheimtip" zur moralischen Instanz einer ganzen Generation. Da auch seine liebevollen und humorvoll-frechen Kinderliederprogramme äußerst populär waren, ist Gerhard Schöne noch heute quer durch die Generationen so etwas, was er - ohne sich selbst zu meinen - als Überschrift über sein 1997er Album setzte: ein seltsamer Heiliger. Gerhard Gundermann´Gundi´ Gundermann hat zwei Leben in einem gelebt, das Leben eines Maschinenführers im Braunkohletagebau um Hoyerswerda, und das Leben eines Liederkünstlers. Er wollte nie seine Familie mit der Kunst ernähren müssen, um auch künstlerische Krisen ehrlich bestehen zu können. Eigentlich sollten beide Lebenssphären klar voneinander getrennt bleiben, und es störte ihn doch, als - wie er es ironisch nannte - "singender, klingender Baggerfahrer" angesehen zu werden. Gerhard Gundermann wurde am 21. Februar 1955 als Sohn eines Uhrmachermeisters und einer Lagerarbeiterin geboren, doch das sind eher irreführende Lebensdaten, denn Gundi ist ein Stück der Niederlausitz mit ihrem Boden voller sorbischer Mythen und Löcher, die die Bagger gerissen haben. Seine Singelaufbahn begann G.G. 1972 im Singeklub Hoyerswerda. Die Liedermachere hat auch mit dem Abbruch seines Studiums an der Offiziersschule der Luftstreitkräfte 1975 zu tun. Danach begann er als Hilfsmaschinist im Tagebau zu arbeiten und qualifizierte sich zum Baggerfahrer. Unter seiner maßgeblichen Mitwirkung formierte sich 1978 aus dem Singeklub Hoyerswerda das Liedtheater und umfassende Kulturprojekt "Brigade Feuerstein". 1982 wurde Gundermann aus der SED, der er seit 1975 angehörte, ausgeschlossen. 1988 erschien seine erste LP "Männer, Frauen und Maschinen" Bis 1998 folgten vier weitere CDs. Kurz vor der Veröffentlichung steht eine Lifeproduktion mit der Gruppe Silly, für die Gundi seit 1988 getextet hat. Nach der Auflösung der Brigade Feuerstein trat er zunächst in der Formation "Gundermann und Freunde", dann mit den "Wilderern" und seit 1992 mit seiner "Seilschaft" auf. . Von ganz eigenem Reiz waren seine Soloauftritte, bei denen er nicht nur aus seinem reichen Liederrepertoir schöpfte, sondern auch Geschichten mit bizarr-skurilen Gedankengängen zum Besten gab. Nachdem seine Beschäftigung bei der LauBAG auslief, hat sich Gundermann um eine Umschulung zum Tischler bemüht. Kurz vor Abschluß dieser Ausbildung, eine Woche nach der Feier 20 Jahre Feuerstein, gerade in der Nacht der Sonnenwende, am 21. Juni 1998 ist Gerhard Gundermann leise und unfassbar in seinem Bett im kleinen Häuschen in der Bereitschaftssiedlung Spreetal bei Hoyerswerda aus dem Leben geglitten. Ungewöhnlich sachkundig und feinfühlig ist der Nachruf, der im © "Spiegel" erschienen ist. Sänger ohne Schutzengel
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Erstellt am 25.11.1998 | HTML-Fassung im April 2002 | Zuletzt geändert am 20.06.2004 |