Anhören!Anhören!  Wibke Bruhns

Als am 12. Mai 1971 um 22.15 Uhr die damals 32-jährige Wibke Bruhns mit schicker Frisur, Brille, Bluse im Safari-Look und ausgesprochen lässig in der ZDF-Sendung „Heute“ die Nachrichten der Spätausgabe vorlas begann das Zeitalter der Nachrichtenfrauen (vgl. medien-news).

An dieser Stelle ist ein Zwischenruf der Wibke Bruhns unvermeidlich.

"Da bin ich nun schon so alt und ich bin schon so lange in dem Beruf und ich habe so viele erstaunliche Sachen gemacht - das behaupte ich jetzt mal einfach, weil in meiner Zeit noch solche Vielfalt möglich war - und ausgerechnet der langweiligste Job, den ich in meinem Leben gehabt habe, der wird immer als eine Form von Erkennungsmerkmal benutzt. Aber ich hab mich inzwischen damit abgefunden."

Anhören!Anhören im O-Ton: © NDR Info, Sendung "Der Talk" am 16.5.2004!

Biographie

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Unsere Autorin wurde als Wibke Gertrud Klamroth am 8. Sept. 1938 in Halberstadt/Harz geboren. Sie war noch nicht 6 Jahre alt, als ihr Vater, der Abwehroffizier Hans Georg Klamroth am 26. August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Da ihre Mutter 1949 in den diplomatischen Dienst der gerade gegründeten Bundesrepublik eingetreten war, hatte ihre jüngste Tochter Wibke in ihrer Schul- und Internatslaufbahn viele Stationen zu absolvieren: Nach Timmendorfer Strand und Plön, waren dies Kopenhagen, Stockholm, Berlin und London. 1957 legte sie ihr Abitur ab an der Berliner „Malvida-von-Meysenburg-Schule“. Danach beabsichtigte sie zunächst ein Studium in Großbritannien, weshalb sie noch ein Jahr lang eine Finishing School in London besuchte, nahm dann aber ein Studium der Politik und Geschichte in Hamburg auf.

1960 begann Wibke Bruhns ein Volontariat bei der BILD-Zeitung. Den DDR-Mauerbau attackierte "Bild" mit der Parole: "1933 geschah Unrecht! Da haben wir geschwiegen. 1961 schweigen wir nicht!" - Für die links eingestellte Tochter eines Mannes, dessengleichen in der bbundesdeutschen Gesellschaft noch überwiegend als Landesverräter stigmatisiert wurde, war diese historische Gleichsetzung so ungeheuerlich, dass sie bei Springer kündigte. Sie wechselte als freie Mitarbeiterin zum NDR-Fernsehen in Hamburg, wurde 1962 Redakteurin und Moderatorin beim Hamburger ZDF-Studio. Als 1968 ihre zweite Tochter Meike geboren wurde, beendete Wibke Bruhns ihren Vertrag mit dem ZDF und arbeitete als freie Journalistin weiter. Regelmäßig schrieb sie u. a. für "DIE ZEIT", den NDR-Hörfunk und das ZDF (Sendereihe "Querschnitt").

Im Mai 1971 war das Zweite Deutsche Fernsehen mediengeschichtlich das Erste. Es war an der Zeit das Heiligtum Fernsehnachrichten weiblich zu durchlüften. Das Erste stand mit Ann Ladiges am Start. Das ZDF war schneller: Ab 24. Mai las Wibke Bruhns in der damals um 19:45 Uhr ausgestrahlten Hauptausgabe der "Heute"-Sendung die Nachrichten. Als ihr Entdecker gilt der Moderatorenaltmeister Hans-Joachim Friedrichs. Das Erste zog dann übrigens erst 1976 mit Dagmar Berghoff nach.

Im Vorfeld der Bundestagswahlen von 1972 wurde - vor allem in CDU-Kreisen - die Forderung laut, die Nachrichtensprecherin Wibke Bruhns vom Bildschirm zu verbannen, gehörte sie doch zu den Aktivisten der "Sozialdemokratischen Wählerinitiative" für den Kanzlerkandidaten Willy Brandt.

Nach ihrer 380. Nachrichtensendung verließ Wibke Bruhns im Januar 1973 das ZDF und moderierte fortan u. a. das "Tagesmagazin" im WDR-Fernsehen und profilierte sich als kritische Journalistin. Im Mai 1973 stellte sie ihren ersten "Panorama"-Beitrag (NDR) vor, eine Reportage über die Zustände in einem Altenheim in Baden-Baden. Sie moderierte eine Fernsehdokumentation über den "schönen Schein der Ware", die in späteren Kampagnen aus Richtung "Rheinischer Merkur" als Beispiel für "Rotlichtbestrahlung" durch ein Genossen-Kartell diente. Obendrein schrieb sie noch Beiträge für das Politmagazin "konkret".

Im Sommer 1973 gehörte Wibke Bruhns mit ihren Kindern zum Kreis derer, die Bundeskanzler Willy Brandt in dessen Norwegen-Urlaub begleiteten. Als im April 1974 Günter Guillaume als MFS-Spion verhaftet wurde, drängte Herbert Wehner in einem Gespräch in Bad Münstereifel Brandt zum Rücktritt. Er meinte, der Kanzler sei durch den Osten erpressbar, insbesondere wegen seiner Frauen-Geschichten, wobei er ausdrücklich den Fund eines Colliers in des Kanzlers Hotelbett in Erinnerung brachte. Das lag schon eine Weile zurück (Herbst 1969), hatte aber mit Guillaume zu tun und - wie Wehner meinte, mit Wibke Bruhns. Diese Version, von der Wehner wohl nie abrückte, gilt als wiederlegt seit der Veröffentlichung von Hermann Schreibers Buch: "Kanzlersturz : Warum Willy Brandt zurücktrat" (Econ Verlag München 2003). (Quelle: Rezension von Rainer Blasius in der FAZ Anhören!Wibke Bruhns dazu 2004 im O-Ton:

"Ich werde es nicht mehr los, das ist klar. Wenn ich ins Grab sinke, dann wird da stehen: die erste Nachrichtensprecherin der Republik und außerdem die Geliebte Willy Brandts. Das sind beides Dinge, die hängen da dran." (vgl. © NDR Info, Sendung "Der Talk" am 16.5.2004)

1974 begann Wibke Bruhns als "Stern"-Autorin zu arbeiten (ab 1.1.1976 mit fester Anstellung), blieb aber u. a. als Reporterin für das SWF-Unterhaltungsmagazin "Treffpunkt" im Fernsehen präsent. 1979 ging sie als Nahostkorrespondentin für den "Stern" nach Jerusalem. Ihre dortigen Eindrücke und Erlebnisse schilderte sie in dem 1982 veröffentlichten Buch "Mein Jerusalem", das laut Frankfurter Allgemeine Zeitung ein "impressionistisch-privater Bilderbogen zum Kennenlernen der Heiligen Stadt" war und "beiden Seiten im Nahost-Konflikt Gerechtigkeit angedeihen" ließ.

1984-1988 berichtete die Journalistin für den "Stern" aus Washington und veröffentlichte während dieser Zeit im Magazin GEO ihre viel beachtete Reportage über das Vietnam-Denkmal in der amerikanischen Hauptstadt ("Die Mauer der Versöhnung - das Vietnam Veterans' Memorial"). Für die "Beschreibung des Krieges als endlose Reihe persönlicher Opfer" wurde ihr 1989 der Egon-Erwin-Kisch-Preis verliehen.

Nach dem Einsatz als „Stern“-Korrespondentin in Washington arbeitete Wibke Bruhns als freie Journalistin mit Wohnsitz im Elsass. Mit Gisela Marx war sie 4 Jahre lang Gastgeberin bei "Drei vor Mitternacht" im WDR-Fernsehen. Im Hörfunk moderierte sie das WDR 2-"Mittagsmagazin", bevor sie im Januar 1993 ihre Tätigkeit als Anchorwoman beim privaten Nachrichtensender VOX aufnahm. Im Wechsel mit Martina Sagurna präsentierte sie die Hauptnachrichtensendung "Weltvox", bis im Frühjahr 1994 der Sender sein gesamtes journalistisches Personal wegprofilieren musste.

Nach einem Jahr Fernsehpause wurde die versierte Medienfrau im Sept. 1995 die neue TV-Kulturchefin des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB). Wegen Unstimmigkeiten über ihre Nachfolgeregelung schied sie im Juli 1998 ein halbes Jahr vor Vertragsende beim ORB aus und stand auch nicht weiter als Moderatorin zur Verfügung, vielmehr versuchte sie sich als Beraterin für politische Talkshows der Produktionsfirma AVE („Talk im Turm“, „Spät am Abend“, „Der grüne Salon“, „Vorsicht Friedmann“).

Im Februar 2000 löste B. in Hamburg den glücklosen Hans-Erich Bilges als Sprecher der EXPO 2000 Hannover GmbH ab und war in dieser Funktion bis Sept. 2000 direkt der früheren niedersächsischen CDU-Wirtschaftsministerin und EXPO-Generalkommissarin Birgit Breuel zugeordnet. Mit dem Ende der Weltausstellung wurde Wibke Bruhns wieder als freie Autorin tätig. Sie ging in Klausur, um ihres Vaters Land zu erkunden.

Ihr Familienname geht auf die 1965 geschlossene Ehe mit dem Schauspieler, Autor und Regisseur Werner Bruhns (1928-1977) zurück. Wibke Bruhns hat zwei Töchter: Annika (1966) und Meike (1968).

Eine deutsche Familiengeschichte

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Natürlich wusste Wibke Bruhns, solange sie denken kann, dass Vater mit den Männern des 20. Juli 1944 vor den Freislerschen Volksgerichtshof gezerrt wurde, und mit diesen einen qualvollen Tod sterben musste. Als sie aber 1979 - schon auf dem Sprung nach Jerusalem - in einem Dokumentarfilm eine kurze Sequenz lang das Gesicht des Hans Georg Klamroth als Angeklagtem vor dem sog. Volksgerichtshof erblickte, sah sie sich selbst in diesem Gesicht. Damit war der Entschluss geboren, diesen Mann für sich "so dreidimensional wie möglich auferstehen zu lassen, um ihn nicht "geronnen zu sehen in irgendwelchen Namenszügen auf Gedenktafeln oder in Geschichtsbüchern, wo dann unter K wie Klamroth hinten der Name steht - das war mir einfach zu wenig. Das war mir zu flach.."

Mit der Biografie ihres Vaters hat Wibke Bruhns sich keine idealisierte Vaterfigur geschaffen. Sie hat in einer ganz konkreten Brechung deutsche Geschichte in ihrem Katastrophenweg vom Wilhelminischen Kaiserreich bis in die Selbstzerstörung des Nazi-Reiches verfolgt. Sie hat Fragen, die er ihr nicht mehr beantworten kann.

"Denkt HG darüber nach, daß auch er dem Regime, das ihn jetzt töten wird, die Steigbügel gehalten hat, daß er teilhat an dem Verhängnis, das ihn nun ereilt?" (S.375)

Am 15. August werden Johannes Georg und Bernhard Klamroth im dritten Schauprozess gegen die Attentäter vom 20. Juli zum Tod durch den Strang verurteilt. Der Saal ist übervoll mit zwangsverpflichtetem Publikum. Auch der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt war als junger Oberleutnant hinkommandiert.

Die Klamrots sind ein großer, weit verzweigter und vernetzter Klan, der sich seiner Geschichte wohl bewusst ist. In Halberstadt gründete Johann Gottlieb Klamroth 1790 einen Material- und Viktualienhandel, der sich von Generation zu Generation modernisierte und ausweitete, basierend auf Saatgut (Zuckerrübe, Futterpflanzen) und den agrochemischen Erkenntnissen des Justus von Liebig (Superphosphat). Väterlicherseits entstammt Wibke Bruhns also einer Gesellschaftsschicht, die sie als selbstbewusstes preußisches Bürgertum charakterisiert: "vom Vater auf den Sohn sich mehrender Reichtum, verbunden mit Verantwortung für das Gemeinwesen". Die Männer der Familie waren Unternehmer und Offiziere gleichermaßen, politisch engagiert und kunstsinnig. Die Villa am Bismarckplatz, in der Wibke Bruhns ihre frühe Kindheit verbrachte wurde 1910-1911 vom Berliner Architekten Hermann Muthesius erbaut. Im alliierten Bombenangriff vom 8. April 1945 verbrannten auch 155 Jahre Firmengeschichte.

Ehefrau von Hans Georg und Mutter seiner Kinder Barbara, Ursula, Jochen, Sabine und Wibke Klamroth ist Else, geborene Podeus. Die Unternehmerfamilie Podeus hat mit ihrer Waggon- und Automobilfabrik Fahrzeugbaugeschichte geschrieben. Im gesellschaftlichen Leben der Hansestadt Wismar nahm die Familie des Vizekonsuls Paul Heinrich Podeus eine ähnlich führende Rolle ein wie die Klamroths in Halberstadt. Im Hause Podeus wurde englisch, dänisch, französisch, deutsch und vor allem niederdeutsch gesprochen. Ein stark dänischer Verwandschaftszweig und Einfluss wurde von Elses Mutter Dagmar, die von der Insel Lolland stammt, in den Klan eingebracht.

Irgendwo ist alles mit allem vernetzt. Das spüren wir beim VIII. Boltenhagener Literaturfrühling auf Schritt und Tritt. Am Tag nach Wibke Bruhns liest Christoph Dieckmann aus seinem Buch "Rückwärts immer". Darin kommt er auch auf "Meines Vaters Land" zu sprechen und meint:

"Wibke Bruhns' recherchierende Erinnerung kann hart reden und spricht das nötige Urteil aus. Aber diese Nachgeborene will eben nicht nur begreifen, sie wünscht auch die eigene Abkunft zu hüten - durchaus mit einem Quantum Ahnenstolz." (Rückwärts immer", S.25)

Ihre Spurensuche hat Wibke Bruhns aus einem ganz privaten Interesse der Selbstvergewisserung geschrieben. Dass dies für die Öffentlichkeit ein so wichtiges Buch werden würde, war nicht absehbar. Gibt man in Google "'Meines Vaters Land' Bruhns" ein, so erhält man (Stand: 4.3.2006) 28 000 Treffer! Das Buch wird auch im Ausland mit großem Interesse gelesen. Derzeit wird die chinesische Ausgabe vorbereitet (vgl. dazu © Jana Simon in "Die Zeit" vom 01.02.2006!

"Meines Vaters Land" ist auch als Hörbuch in den Handel gekommen.

An
hören!Hörprobe: der Anfang!

Das Hörbuch ist im Random House Audio erschienen. Verwunderlich ist, dass die Autorenlesung dort als "Szenische Lesung mit Originalhördokumenten" deklariert ist. Die Lesung hat eine Laufzeit von ca. 420 Minuten auf 6 Audio-CDs..

Von Wibke Bruhns sind folgende Bücher erschienen (recherchiert mit Online-Katalog der Deutschen Bibliothek:

gemeinsam mit Ursula Klamroth: Ich bekomme ein Kind / Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a.M.; Wien; Zürich 1970
Falken-Verlag Sicker, Wiesbaden 1973

In aller Munde Fremdwörter : 1000 Begriffe, die uns täglich begegnen; mit e. alphabet. Nachschlagereg. / Schwann, Düsseldorf 1972

Mein Jerusalem / Gruner und Jahr, Hamburg 1982

Gemeinsam mit Roger Anderson, Emanuel Eckardt u.a.: Medien-Macher : Journalisten beschreiben die Herrscher der vierten Gewalt / Verlag Rasch und Röhring, Hamburg 1996

Meines Vaters Land : Geschichte einer deutschen Familie - Econ, München 2004;
ungekürzte, mit erw. Bildteil - Ullstein, Berlin 2005


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Erstellt am 01.01.2006Zuletzt geändert am 04.02.2007
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